Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Barbier

Barbier


Das Handwerk der Barbiere und Bartscherer hat eine lange und eigene Entwicklung in früheren Jahrhunderten genommen, in deren Verlauf die Gewerke der Perückenmacher und der Friseure hervorgegangen sind.

 Zu Beginn gab es den geschickten Bartscherer und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die überwiegende Kundschaft aus Männern bestand, denen der Bart geschnitten und gestutzt wurde gegen ein Entgelt. Vom Haupthaar schneiden ließ es sich anfangs mehr schlecht als recht leben, der Mode der Zeit gemäß ließen sich Frauen und Männer gleichermaßen unbekümmert ihre Haare wachsen. Gelegentlich wurde das Haar auch bei den Männern zum Zopf zusammengehalten.

 Aufwendige Frisuren oder eine künstliche Haartracht kamen erst im 17. Jahrhundert stark in Mode. Und als Frau und Mann nach der begehrten Perücke griffen, entwickelte sich der Beruf des Perückenmachers und der Barbier hatte in dieser Hinsicht das Nachsehen.

 Die Barbiere, Balbierer, Bartputzer, Scherer oder lat. barbitonor, wie verschieden sie auch immer genannt wurden, bildeten ab Ende 14. Jahrhundert eigene Ämter. In Köln erlangten sie 1397 ihren ersten Amtsbrief, in den Hansestädten stammen die frühesten Zunftrollen aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts: 1457 Danzig, 1480 Lübeck, 1486 Hamburg.

 Die älteste Amtsrolle der Rostocker Barbiere stammt von 1473 und enthält die Rechte und Pflichten des zunftmäßig organisierten Berufes. Das Amt musste um 1400 für die Stadtwehr 6 Bewaffnete stellen, es stellte damit die doppelte Anzahl als z. B. die Schwertfeger oder Drechsler.

 Eine Grundvoraussetzung für die Ausübung des Berufs war der Erwerb einer ortsansässigen Barbierstube. Dennoch zogen Barbiere mitunter umher, um auf den Märkten und zu besonderen Anlässen das Handwerk feilzubieten. Die Rostocker Barbiere bildeten ein geschlossenes Handwerk, die erste Amtsrolle bestimmte für die Stadt 10 Meister zuzulassen, woran man sich auch jahrhundertelang hielt, 1800 kam man sogar mit 7 Meisterbetrieben in der Stadt aus.

 Die Barbiere waren bald wirtschaftlich gezwungen ihr Arbeitsfeld zu erweitern; einerseits mischten sie sich in das Gewerbe der Bader ein oder umgekehrt, die Bader rasierten ebenfalls die männliche Kundschaft nach Bedarf. Andererseits verstanden die Barbiere es zunehmend Körperpflegedienstleistungen mit handwerklicher Heilung zu erweitern. Sie eroberten sich das Feld der kleinen Chirurgie und wurden Chirurgen 2. Klasse, wie man sie später nannte. Schon das Mittelalter kannte die Kunst des Zahnziehens, des Stein- und Bruchschneidens, Starstechens, Schröpfens, Blutegelansetzens oder Amputierens. Die kleine Chirurgie wertete das einfache Handwerk auf, denn nunmehr waren spezielle Kenntnisse über die Funktion und Aufbau des menschlichen Körpers gefragt, die sich aufgrund ihres Standes noch in Grenzen hielten. Für alle diese heilsamen Prozeduren war eine tüchtige Portion Mut und Kraft erforderlich neben dem entsprechenden Handwerkszeug. Je mehr sich die Meister spezialisierten desto angesehener wurden die Barbiere, sodass sie sich unter die Ratsmänner oder Bürgermeister mischten wie im mecklenburgischen Sternberg oder im vorpommerschen Damgarten. Barbiere konnten besondere Titel für ihre erfolgreiche Heilarbeit erwerben wie: Leib-Barbiere, Hof-Barbiere, Rats-Barbiere (Stralsund) oder wie in Rostock nach 1734 Johann Hinrich Buddich als „Barbierältester und Ratschirurg“ und besonders im „medizinischen Handwerk“ befähigte und geprüfte Meister wurden offiziell und amtlich als Wundärzte tituliert.

 1486 mietete der Altermann Retze, Vorsteher des Rostocker Barbieramtes, einen Teil des Grulle’schen Altars in der St. Marienkirche, d. h. dieser Schrank diente religiösen und mildtätigen Zwecken. Darin sollte ebenfalls ein Zinnleuchter des Barbieramts Platz finden. Als Gegenleistung wiederum wurde der Altermann Retze verpflichtet den Gregorius Kellemann, dazumal Priester zu St. Marien und Vikar (religiöser Verwalter des Altars), kostenfrei zu rasieren. Solche Händel waren durchaus üblich und St. Marien besaß um diese Zeit etwa 40 Altäre. Knapp fünfzig Jahre später konnte sich das Amt der Barbiere und Wundärzte einen eigenen Altar leisten.

 Dieser noch heute erhaltene Rochusaltar in St. Marien ist einer der schönsten norddeutschen Schnitzarbeiten im Übergang von der Gotik zur Renaissance, die vermutlich von einem Meister aus dem Umfeld des Lübecker Bildschnitzers Benedikt Dreyer stammt. Im Mittelschrein des eichenen Tryptychon befindet sich im Zentralfach der heilige Rochos, in den Seiten sind der heilige Antonius (links) und der heilige Sebastian (rechts); im linken Flügel Cosmas und Damian und rechten Flügel der hl. Bischof Eleutherius von Thournai (links) und hl. Christophorus (rechts) dargestellt. Die Heiligen des Altares wurden insbesondere bei Krankheit und Pest angerufen, sie weisen in ihren Viten und Legenden einen direkten Bezug zur Pest auf.

 Barbiere und Wundärzte des Mittelalters festigten das Wissen und ihre praktischen Kenntnisse im Kampf gegen den schwarzen Tod, durch den bei Seuchenausbrüchen viele tausende Menschen hingerafft wurden. Sie behandelten die typischen Beulen und offenen Wunden mit Salben und legten Verbände aller Art an.

 Die erste große Pestepidemie (lat. Pestis = Unglück, Seuche, Verderben) 1348 kam aller Wahrscheinlichkeit nach von England oder Dänemark und hinterließ fast in ganz Europa ihre Spuren voller Leid. Einmal ausgebrochen kehrte sie in unregelmäßigen Abständen und in verschiedenen Gebieten wieder. Nach kurzer Ruhe ging ab 1430 die Pest erneut umher. Vor allem Hafenstädte, insbesondere norddeutsche Hansestädte, waren stark betroffen und die zutiefst religiösen Menschen glaubten an eine Art göttliche Bestrafung für ihr sündiges Leben. Doch die Ursache der Pest wurde von klugen und selbstlosen Männern und Frauen bekämpft, die u. a. wichtige Reinigungsmaßnahmen durchführen ließen, um die epidemische Krankheit zu besiegen.

Zu diesen Männern gehörten auch Wundärzte und selbstlose Helfer, wie nach der Überlieferung die Heiligen Rochus, Sosmas und Damian vor ihnen. Die Pestzeiten waren auch stets bittere Lehrzeiten für jede Art von Mediziner, das galt ebenso wie für alle Kriegszeiten. Schlachtfelder gaben düstere praktische anatomische Ausbildung, während man an der Universität Rostock auf das „Anatomische Theater“ zu Lehr- und Schaudemonstrationen angewiesen war. Noch 1710 wurden bei der im vorpommerschen Stargard ausgebrochenen Pest Barbiere und Wundärzte als „Pestärzte“ eingesetzt.

 Die Lehrzeit der Barbiere dauerte 2 bis 4 Jahre, war meist auf drei Jahre festgelegt, an deren Ende stand die Prüfung durch die Altermänner des Gewerks. Das änderte sich erst Ende 18. Jahrhundert, dann erfolgte die Prüfung vor einem behördlichen Medizinalkollegium oder mindestens in Anwesenheit des Stadtphysikus (Stadtarzt) von Rostock. Die Gesellenzeit konnte bis zu 6 Jahren andauern, von denen drei Jahre gewandert werden mussten.

 Als Meisterarbeit wurde vom Gesellen seit dem Spätmittelalter auch die Herstellung verschiedenster Pflaster und Salben gefordert. Außerdem verlangte man Grundkenntnisse im Lateinischen, das Studium von Fachliteratur und den nachweislichen Besuch medizinischer Lehrveranstaltungen.

 In der Neuzeit erlangte die medizinische Wissenschaft große Fortschritte und die Chirurgie entwickelte sich zu einer anerkannten Disziplin, was besonders durch Fortschritte in der Anatomie und durch Übungen am leblosen Körper befördert wurde. Es scheint denn auch nicht verwunderlich, dass gerade nach den Befreiungskriegen die Chirurgie in Europa großen Aufschwung nahm. Hervorragende deutsche Ärzte, wie J. F. Dieffenbach (1792-1847), wandten sich ihr als wissenschaftliches Forschungsgebiet zu, damit wurden ebenso kühnere Eingriffe im Innern des Körpers ermöglicht. Mit dieser Entwicklung gab es für die Barbiere, die als Handwerker anerkannt waren, zunehmend existenzielle Schwierigkeiten, sodass vonseiten des Staates moderne Regularien aufgesetzt wurden.

 Denn die wissenschaftlich gebildeten Mediziner sahendie Heiltätigkeit der Barbiere am menschlichen Körper als unberechtigten Eingriff in ihr Fachgebiet an. So wurde der Richtungsstreit zwischen Ärzten und zünftigen Wundheilern entfacht, obwohl bereits 1751 die „Herzoglich-Mecklenburg-Schwerinsche Medicinal- und Taxordnung“ festlegte, welche Art und Weise von Tätigkeiten von den jeweiligen Heilberufen ausgeübt werden konnte.

 Vermutlich brauchte die praktische Umsetzung dieser staatlichen Verfügung schon seine Zeit, auch in Rostock. So beschwerte sich bereits 1821 der Chirurg Günter beim Rat darüber, dass es in Rostock nicht möglich sei, sich als Chirurgus niederzulassen, weil er in der Stadt keine Barbierstube erwerben könne und das Amt mit Barbieren voll besetzt (geschlossen) sei. Schließlich hatte er die Chirurgie nicht aus dem Scherbeutel, sondern aus Vorlesungen und Praktika an der Königlichen Berliner Universität erlernt. Der Rat war dem wissenschaftlich ausgebildeten Chirurg Günter wohl gesonnen, doch das Handwerksamt der Barbiere und Wundärzte sowie das gesamte II. Quartier (Vertretung der Handwerker) nicht. Der Großherzog in Schwerin sollte entscheiden und er verfügte per Reskript vom 10. Februar 1824, dass die zünftigen Barbiere einerseits in gewohnter Weise die kleine Chirurgie betreiben dürfen und dass es andererseits der See- und Universitätsstadt gut zu Gesicht stehen würde, moderne Chirurgen einzustellen, was in Rostock auch geschah.       

 Gesetzliche Ordnung trat aber erst 1840 ein, als die „Medizinalverordnungen“ in beiden mecklenburgischen Ländern das Berufsprofil der Ärzte, Chirurgen und Barbiere neu bestimmte.

 Ärzte durften nach Abitur, vierjährigem Universitätsstudium, Erlangung des Dr. med. und einer Prüfung vor dem Medizinalkollegium „innerlich“ (durch Arznei und Kuren) heilen, für größere Operationen waren Wundärzte zugelassen, von denen ein dreijähriges medizinisch-chirurgisches Universitätsstudium gefordert wurde und die sich dann Chirurgen 1. Klasse nennen durften. Für Barbiere blieb der Titel Chirurgen 2. Klasse, sie wurden auf äußeres Heilen durch Beschneidungen der Nägel und Hühneraugen, Zahnziehen, Aderlassen, Klistiere setzen und Blutegelansetzung (nur auf ärztliche Verordnung) usw. eingeschränkt und natürlich blieb ihnen die Meisterschaft des Bartschneidens und Rasierens.


Autorin: Hannelore Kuna

Share by: