Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Becherer
Die Becherer bzw. Bechermacher sind ein altes Handwerk mit langen Traditionen, die doch in Vergessenheit geraten sind. Aber in der Hansestadt Stralsund erinnert heute noch die Bechermacherstraße an dieses Gewerk. Die Straße wurde 1396 erstmals urkundlich erwähnt. Ursprünglich verfertigten diese Handwerker hölzerne Trinkgefäße, zumeist Becher, mitunter auch kleinere Kannen oder Kübel. Hauptsächlich wurden in Norddeutschland die Becher mit den Arbeitstechniken der Böttcher, also mit gebogenen Dauben, Boden, Reifen und Verpichung (Abdichtung mit Pech) hergestellt. Selten wurden Becher aus einem Stück Holz gearbeitet z. B. durch Ausbohren und durch Schnitztechniken als ausgesprochene Drechslerarbeit. Die Bechermacher standen als Berufszweig von Anbeginn ihres Handwerks selbstständig neben den verwandten Gewerken der Böttcher und Drechsler, wobei letztere sich streng unterschieden nach ihren Arbeitsmaterialien in Metall-, Knochen-, Horn-, Elfenbein- und Bernsteindrechsler.
Nach alten Stralsunder Urkunden sind Bechermacher ab Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisbar, gleichfalls sind in den ältesten Rostocker Stadtbücher von 1263 bis 1288 schon 12 Becherer unter den Bezeichnungen bekerarius, craterarius und craterifex verzeichnet. Die älteste erhaltene norddeutsche Amtsrolle der Bechermacher stammt aus dem Jahr 1469 aus Wismar.
Die Bechermacher besaßen für ihre Arbeit günstige materielle Vorrausetzungen. Die Becher fertigten aus dem Naturstoff Holz, der in heimischen Wäldern leicht zu erwerben war. Gegenüber Bechern aus Keramik, Zinn, Silber, Gold und Glas konnten Holzbecher daher preislich günstig angeboten werden und deshalb wurden sie im Mittelalter fester Bestandteil der Trinkkultur in breiten Bevölkerungskreisen. Ob zum Wasser- oder Teetrinken, zur Verabreichung von Medizin, zum Maßnehmen; der Holz-Becher war vielseitig verwendbar, selbst zum Glücksspiel mit den Würfeln unentbehrlich. Insbesondere benutzte der einfache Landsmann den Becher auch zum Trinken von Wein, während Bier aus dem Krug, Humpen, Seidel aus Ton oder Metall oder noch später aus einem Glas getrunken wurde. Selbstredend machten die fürstlichen Herrschaften und der hohe Adel Pommerns davon die strikte Ausnahme. Am Hofe zu Wolgast oder Stettin benutzten die Damen und Herren immer die edelsten Becher und Pokale, die aus Silber, Gold und geschliffenem Glas kunstvoll gefertigt waren.
Bis Ende 17. Jahrhundert waren aber hölzerne Becher in der Trinkkultur der einfachen Familien unabkömmlich, so dass sie wohl in keinem Haushalt fehlten. Durch den anhaltenden Bedarf konnte der spezielle Beruf des Bechermachers über Jahrhunderte bestehen. Eine Besonderheit ab 15. Jahrhundert bildeten die sogenannten Doppelbecher. Das waren Becher die aus zwei gegengleichen Stücken gefertigt wurden, die an den Lippenrändern zusammengedreht ein kleines Fass ergaben.
Auch in der kirchlichen Zeremonie wurde zeitweise und ganz bewusst der Holzbecher benutzt. Die auf Calvin und Zwingli zurückgehende reformierte Kirche ersetzte den edlen silbernen Abendmahlsbecher durch einen schlichten Becher aus Holz. Entsprechend dieser religiösen Ideale zu Gott sollten auch die Abendmahlsgeräte schlicht und einfach gehalten werden. Aller irdische Prunk und weltliche Pracht sollte auf diese Weise aus dem Gotteshaus verbannt werden. Das konnte jedoch nicht lange durchgehalten werden.
So schlicht wiederum war der Holzbecher auch nicht, seine Symbolkraft war sehr hoch, denn er wurde in Pommern als besonderes Geschenk zu Hochzeiten, Geburtstagen und Jubiläen gereicht. Dafür wurden als Einzelteile sehr schöne Schmuckstücke verfertigt, sie waren besonders zierlich, filigran bemalt und in glänzendem Silber oder Gold eingefasst. Und doch blieb so ein Becher in seinem Grundmaterial ein Holzbecher, aber er war solcher Art in Auftrag gegeben, ein Meisterstück.
Zu den Ratswahlen in den Hansestädten spielte der Becher noch weit ins 17. Jahrhundert hinein eine besondere Rolle. Weil Bürgermeister und Ratsherren in diesen Zeiten noch auf Lebenszeit gewählt waren, glich die Wahl eines neuen Ratsherren einem städtischen Ereignis. Denn Neuwahlen gab es nur wenn Ratsherren-Stellen wegen Todesfall, Altersschwäche, schwerer Krankheit usw. neu zu besetzen waren. Mit der feierlichen Verkündigung des Namens des neuen Ratsherren wurde gleichzeitig vom Rathaus den Bürgern die Bursprake (Stadtordnung) verlesen. Nach den ernsten wie feierlichen Worten des Bürgermeisters warfen die anderen Ratsherren 50-70 hölzerne Becher aus der 2. Rathausetage in die versammelte Menschenmenge. Die Becher aus Tannenholz hatten eine besondere Form, sie waren oben weit und unten schmal gefertigt, mit kleinen Reifen belegt, inwendig verharzt und auswendig mit der betreffenden Jahreszahl bemalt.
Trotz allgemein guter Auftragslage für die Bechermacher, hatten sich die Meister auch einer fremden Konkurrenz zu erwehren. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts mussten sich die diese Handwerker der See- und Hansestädte dem Wettbewerb finnischer Waren stellen. Schifffahrt und Handel brachten Becher aus den Nordländern mit und die Finnen hatten das Recht erhalten, ihre Waren einige Tage lang öffentlich verkaufen zu dürfen. An Zwischenhändlern war ihnen der Verkauf untersagt, was jedoch den Ärger der heimischen Kaufleute nach sich zog.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts geriet das Bechermacherhandwerk ins Hintertreffen, was die kulturellen Wandlungen der Zeit veranlasste. Hölzerne Becher kamen aus der Mode, die wohlhabenden Leute setzten auf edle Trinkgefäße aus Metall, Porzellan und hochwertigen Gläsern und für die allgemeine Bürgerschaft gewannen heimische Produkte der Glashütten sowie Tonkeramik zunehmend an Bedeutung. Holzbecher erfüllten dann ab 19. Jahrhundert hauptsächlich Repräsentationszwecke. Historisch wurden aus den ehemaligen Bechermachern die Kleinbinder, welche sich auf die Verfertigung von kleineren Fässern und Fässchen sowie auf Kannen aus Holz spezialisierten.
Holzbecher als Gebrauchsgegenstände gibt es heute auch wieder auf traditionellen Handwerkermärkten, sie werden als Drechslerarbeiter angeboten. Im modernen Haushalt aber ist der Holzbecher nicht wieder zurückgekehrt. Aber man soll ja niemals nie sagen!
Autorin: Hannelore Kuna.