Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Bernsteindreher

Bernsteindreher


„Sei mir gegrüßt, Bernstein, geheimnisreichstes der Harze“, schwärmte 1824 der rügensche Dichter Ludwig Gotthard Kosegarten. Man gab dem Bernstein verschiedene Namen, wie Börnsteen, Baltischer Stein, Danziger Harz oder Räucherwerk, der durch das Meer ausgeworfen oder im Erdreich bis heute gefunden wird, doch blieb er stets das berühmte und begehrte „Gold des Nordens“.

 Bernstein ist ein wunderlicher Stein, der im salzhaltigen Meer schwimmen kann, der schnell Feuer fängt und dann wie Weihrauch riecht und da es eine Zeit gab, wo dieses Naturmaterial reichlich gefunden wurde, entwickelte sich zu seiner Verarbeitung ein Handwerk. Die geschickten Bernsteindreher verstanden es aus dem Material begehrten Schmuck auszuarbeiten und andere feine Gegenstände daraus anzufertigen.

 Über die Entstehung des fast 50 Millionen Jahren alten Bernsteins gab es verschiedene Theorien, z. B., dass er eine Art Honig oder Wachs sei, dass von großen Ameisen gebildet wurde, woraus sich auch erklären sollte, dass im Bernstein oftmals Insekten eingeschlossen sind. Die naturwissenschaftliche Erklärung, dass Bernstein aus dem Harz der ausgestorbenen Kiefer Pinnus succinifera stammt, kam erstmals 1757 auf. Noch der Königsberger Philosoph Immanuel Kant meinte bei näherer Betrachtung eines Bernsteins: „Wenn du reden könntest, kleine Fliege, würde es um die Erkenntnis der frühesten Vergangenheit besser stehen“.

 Zahlreiche mecklenburgische Grabfunde zeigen, dass Bernstein in unserer Region bereits in der Steinzeit zu Schmuck oder zu religiösen Zwecken verarbeitet wurde. Auch die Phönizier kannten das Bernsteinland, die Bernsteinküste (Nord- und Ostsee) und holten ihn von hier und brachten ihn als wertvolle Handelsware nach dem Orient.

 Etwa 500 v. Chr. wurde der Bernstein eine wichtige Handelsware für das Römerreich. Nach 1200 errang der Deutsche Orden die Herrschaft über den Bernstein im östlichen Samland. Unter Androhung der Todesstrafe verboten die frommen und machtbewussten Ordensherren den Leuten das Sammeln und den Handel mit Bernstein. Weithin sichtbar aufgestellte Galgen dienten keineswegs nur zur Abschreckung.

 Dem Deutschen Orden folgte Preußen, das ebenfalls sein Hoheitsrecht auf den Bernstein aussprach. Noch nach 1800 mussten Spaziergänger an den Usedomer Stränden gefundenen Bernstein innerhalb von drei Tagen an die Staatsbeamten abliefern, dann konnten sie noch eine Belohnung in Höhe des zehnten Teils vom Fundwert erwarten. Die Belohnung fiel natürlich weg, wenn die Ablieferung nicht innerhalb der gesetzten Frist erfolgte. Wer den Fund gar für sich behielt und dann noch tapfer seinen Fund verleugnete, konnte bei Anzeige als Bernstein-Dieb bestraft werden (1801).

 Die Herrscher vergangener Jahrhunderte hatten finanzkräftige Gründe bei Bernsteinfunden so rigoros mit den Strafen durchzugreifen, so mancher Händler konnte ein reicher Mann werden.

 Einige prächtige und wertvolle Bernsteinstücke wurden am mecklenburgischen, pommerschen und am ostpreußischen Ostseestrand im Verlauf der Jahrhunderte gefunden: 1576 fing ein Kolberger Fischer ein Stück von 11 Pfund im Netz, welches die Stadt Kolberg dem Kaiser Rudolph II. als Geschenk verehrte. Am 3. November 1801 warf das Meer nach einem großen Seesturm 150 Tonnen Bernstein aus, die einen errechneten Wert von 12.000 Reichstalern ergaben.

 Die Rostocker Bernsteindreher waren im Amt der Holz- und Kunstdrechsler vereinigt, von denen im Jahr 1800 15 Meister existierten. Als einer der frühen Rostocker Bernsteindreher ist ein Gabriel Bade, Sohn des Bürgers und Ratsverwandten Peter Bade, nachweisbar. Er hatte in Lübeck gelernt, arbeitete danach einige Jahre in Rostock und wollte sich 1544 in Danzig niederlassen.

 Das Handwerk der Bernsteindreher musste nachweisbar erlernt werden, um es professionell durchführen zu können. Die Lehrzeit bei den Bernsteindrehern betrug 3-5 Jahre. Der Gesellenlohn teilte sich in Lohn für das Drehen und für das Schneiden von Bernstein.

 Die Dreharbeit erwies sich als komplizierte Technik, wofür eine besondere Fingerfertigkeit für das Naturmaterial erlernt werden musste. Beispielsweise wurden Tabakspfeifenmundstücke oder Griffe für Bestecke auf einer Drehbank mit Drehröhre und Meißel gedreht. Kleinere Stücke wie Figuren wurden erst grob gedreht und danach mit sehr feinen Instrumenten bearbeitet z. B. geschnitzt.

 Nach dem Drehen musste der Stein stets glatt geschliffen und auf Hochglanz poliert werden, aber mit Vorsicht. Denn wurde der Bernstein beim Schleifen und Polieren zu heiß, sprang er sehr leicht entzwei. Zum Schleifen benutzten die Bernsteinarbeiter beste Schleifsteine aus Schweden, poliert wurde mit Wasser und Kreide. Größere Bernsteinwaren pflegte man mit einem aus Leinöl, Mastir (Baumharz) und Silberglätte bereiteten Kleister über Kohlenfeuer zusammenzufügen.

 Bernstein konnte auch mit einer speziellen Technik umgeformt werden, indem Bernstein in Alkohol aufgelöst wurde, sodass jede bestellte Figur gegossen werden konnte. Wenn der Kunde aber ein Stück Bernstein in Metall gefasst haben wollte, z. B. als Ring oder zur Brosche verarbeitet, musste er zum Goldschmied gehen.

 Das Bernsteinschneiden war hingegen die einfachere Arbeitstechnik und auch mit geringem Arbeitsaufwand verbunden. Jedoch gehörte dazu einiges Gespür für das Naturmaterial und das künstlerische Verständnis aus dem Bernstein die darin enthaltene Form am besten herauszuarbeiten.

 Für die Anfertigung von Schmuckketten und Paternostern wurde ein Bernstein in kleine Teile, die Korallen genannt wurden (wie Perlen), zerschnitten, dann durchbohrt und an einer Schnur aufgefädelt. Auf diese Art entstanden ebenso verschiedenste Bernsteinknöpfe, kleiner oder größer, mit zwei oder vier Bohrungen, je nach Kundenbestellung. Mit daumendicken Bernsteinknöpfen schlossen die Warnemünder Einwohner, insbesondere die Seeleute, Lotsen und Fischer, ihr weißes Sonntagshemd im 18. Jahrhundert.

 Die meisten Bernsteindreher des Nordens arbeiteten aber traditionell in Königsberg, in Danzig, Elbingen, Lübeck und im hinterpommerschen Stolp, wo sich die wichtigsten Bernsteinfabriken Deutschlands etablierten.

 In der Zeit der deutschen Hanse schlossen die Bernsteindreherämter der Städte Danzig, Elbingen, Lübeck und Königsberg wirtschaftliche Vereinbarungen miteinander ab. Bei Stolp wurde der Bernstein ab etwa 1775 in großen Mengen aus der Erde geholt. 1779 wurden hier von 54 Handwerkern Bernsteinerzeugnisse in Verlagsarbeit hergestellt. Um 1820 ließ der jüdische Fabrikant Liepmann etwa von 100 Arbeitern täglich große Bernsteinmengen ausgraben. Die auch dort am Ort verarbeiteten Bernsteinwaren wurden über Livorno nach Ägypten (Alexandria) verkauft.

 Die Bernsteindrechsler verfertigten vielerlei Art von schönen Gegenstände: Korallen (Damenketten), Ohrgehänge, Balsambüchschen, Brieföffner, Dosen, Knöpfe, Spielmarken, Rosenkränze, Pfeifenmundstücke, Uhrgehäuse, Degengefäße, Leuchter, Spiegelrahmen, Kruzifixe, Spinnräder, Flöten, Schach- und Damespiele, Stockknöpfe, Vergrößerungsgläser. Schwarzer Bernstein wurde auch Sagat genannt und als Trauerschmuck für Damen, zu Rock- und Stockknöpfen für Herren verarbeitet.

 Bernstein war sehr wandelbar in der Verarbeitung. Man erfand nicht nur die Kunst den wolkigen Bernstein klar zu sieden, sondern ihn auch rot, blau, grün, violett, purpur oder weiß zu färben, und das nicht nur auf der Oberfläche (Anstrich), sondern als ganzes Stück. Durch die Entfärbung des Materials wurde der Bernstein schließlich durchsichtig.

  So gelang es dem Bernsteinarbeiter Christian Parschim aus Königsberg 1691 als erster den Bernstein völlig neuartig einzusetzen, indem er Brennspiegel und Brillengläser daraus verfertigte. Ein enormer Fortschritt für die sich entwickelnde Naturforschung und zum Wohle der menschlichen Sehkraft. Doch gab es in der Herstellung von Brillengläsern mitunter Kuriositäten, wie der mecklenburgische Dichter Johann Heinrich Voss überlieferte: „Nicht so vergnügt beäugelten selbst Naturaliensammler in der Brille den Wurm im künstlich geschliffenen Bernstein.“

 Bernsteindreher arbeiteten für den modischen Normalverbraucher und nur die besten Meister unter ihnen am Hofe für die gehobenen Stände der Aristokratie. Wenigen Meistern gelang es das Handwerk zur hohen Kunst zu entwickeln, meist blieben sie Schnitzer und verdienten sich damit ihr tägliches Brot. Das Bedürfnis nach künstlerischen Erzeugnissen, mitunter auch für einen verspielten Lebensstil, entwickelte sich überhaupt erst seit der Renaissance und besonders im Barock. Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. schenkte 1728 dem polnischen Regenten August dem Starken einen fein gearbeiteten, kostbaren mit funkelndem Bernsteinen besetztem Schrank.

 Im Berliner Schloss wurden seit 1689 als künstlerische Raritäten eine in Bernstein geschnitzte Schafherde und ein Bauernhof mit Pferden, Wagen etc. angepriesen. Legendär ist das inzwischen verschollene Bernsteinkabinett (Geschenk des preußischen Hofs an Zar Peter I.).

 Bernstein ist zu keiner Zeit aus der Mode gekommen. Heute gibt es wieder einzelne Kunsthandwerker, die sich dem Bernstein zugewandt haben und rohen, unbearbeiteten Bernstein zu Schmuck und anderen Dingen verarbeiten. Daneben wird Bernstein auch industriell verarbeitet. Ribnitz-Damgarten ist in mehrfachem Sinne zum Wallfahrtsort für Bernsteinfreunde geworden. Bernsteinschmuck wird hier seit vielen Jahrzehnten hergestellt, seit über 50 Jahren unter dem Namen Ostseeschmuck. Die heutige GmbH bietet eine Schau-Manufaktur, wo man den Schmuckgestaltern über die Schultern schauen kann, die für den Interessierten das Angebot des Bernsteinmuseums im alten Ribnitzer Frauenkloster bereichert.


Autorin: Hannelore Kuna

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