Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Beutler

Beutler

 

In der Seestadt Rostock gab es schon frühzeitig eine Reihe von spezialisierten Berufen, die besondere Lederwaren herstellten. Dazu gehörten die Belter (auch beltere, biltere), von denen im alten Rostock nur zwei Handwerksmeister mit dieser Profession um 1273 und 1284 nachweisbar sind. Die Bezeichnung stammt aus Schweden, wo Belter häufig anzutreffen waren, ebenso im Baltikum, ansonsten wurden Belter im deutschen Raum nicht weiter aufgeführt. Die Belter lieferten aus Leder allerlei kleinere und feine praktische Teile wie: Gürtel, Beutel, Säcke, Handschuhe in allen Größen und gewünschten Ausführungen.

 Dagegen waren in Rostock die Beutler (budelsnithere niederdeutsch, factorus bursarum, bursarii lat.) regelmäßig ansässig. Von zwei Beutlern berichtete bereits das älteste Rostocker Stadtbuch. 1407 bildeten sie mit den Sämischbereitern, Riemern und Gürtlern ein gemeinsames Amt, indem sie ihre handwerklichen Interessen gemeinschaftlich vertraten. In Lübeck waren sie ursprünglich mit den Riemenschneidern und in Hamburg mit den Zaumschlägern, Gürtlern, Sattlern und Taschenmachern vereinigt. Im 18. Jahrhundert schlossen sich die Rostocker Beutler mit den Weißgerbern zusammen. Denn im Jahr 1782 zählte ihr Amt nur noch 4 Meister, die aus Leder neben den Beuteln, Handschuhe und Mannsstrümpfe verfertigten.

 Um 1800 waren wieder 9 zünftige Meisterbetriebe in der Seestadt zu verzeichnet. Die Beutler wurden von ihrer täglichen Handarbeit nicht besonders wohlhabend, aber immerhin zählten sie nach der Rostocker Hochzeitsordnung von 1591 zu den „mittleren“ Standespersonen der Seestadt. Damit rangierten sie neben den Meistern der Bäcker, Buchbinder, Grapengießer, gehörten jedoch nicht zu den „vornehmen“ Personen wie Brauer, Gewandschneider, Händler und Kaufleute.

 Die Beutler übten im Mittelalter eine besondere Aufgabe zum städtischen Gemeinwohl aus. Mit ihren speziell angefertigten großen Ledersäcken beerdigten sie mitunter Personen, denen nach der herrschenden religiösen Tradition ein reguläres Grab nicht zustand. Bekanntermaßen betraf das z. B. die Selbstmörder, gelegentlich die durch Unfall zu Tode gekommenen einfache Leute, welche die letzte Ölung (das Sakrament der Krankensalbung) nicht mehr rechtzeitig erhalten konnten u. a. Für die zurückgelassenen Familien war dieser Umstand eine fürchterliche Katastrophe, da die Kinder in ihrem gesamten Lebensweg damit schwer gezeichnet waren. 

 Der Schutzpatron des Beutlerhandwerks war Bischof Otto von Bamberg (1069-1139), Apostel der Pommern, er trug stets einen Beutel am Gürtel, als Zeichen seiner Mildtätigkeit, um an arme Leute und Kranke seine Spenden verteilen zu können. Ein altes Beutler-Sprichwort besagt: „So geht’s in der Welt, der eine hat den Beutel, der andere das Geld“.

 Der lederne Beutel war besonders im Mittelalter das praktische Behältnis, um die kleine persönliche Habe unterwegs verstauen zu können, etwa notwendige Utensilien wie Essen, Münzen, Gebetbuch, Rosenkranz, Kleidung usw. Dann gab es noch die kleineren Beutel, die wegen ihres wertvollen Inhaltes am Körper versteckt wurden. Jeder reisende Mann, Mönche, fahrende Schüler oder Studenten zogen so durch das Land.

 So ein Beutel war natürlich viel nützlicher als heute gemeinhin bekannt ist, man benutzte ihn nicht nur zu privaten Zwecken, sondern ebenso zu allerlei dienstlichen Verrichtungen. Zum Beispiel transportierte die berittene Post in ledernen Beuteln auch später in Taschen wichtige Nachrichten, Briefe und amtliche Schriftstücke von Ort zu Ort. Beutel wurden in allen erdenklichen Formen klein und groß angefertigt, mitunter waren sie inwendig 5 bis 6-teilig hergestellt, um der Ordnung und Sortierung willen.

 Diese Beutel wurden besonders für Mönche hergestellt, weshalb diese Art noch Ende 16. Jahrhundert Mönchsbeutel hieß. In der Anfertigung von aufwendig gearbeiteten Mönchsbeuteln bestand bis ins 18. Jahrhundert hinein ein Teil der Meisterprüfung. Im süddeutschen Raum war im Mittelalter eine größere Beutelform in Mode, die Säckel, nach denen man auch die Handwerker dort Säckler nannte. In der folgenden Neuzeit benutzten die Männer alltäglich robuste Geld- oder Tabakbeutel, Degengehänge, Bälle, Beinkleider und die Frauen dagegen feine Puder- und Schmuckbeutel usw., die besonders schön ausgeführt wurden.

 Die Beutler von Rostock vernähten auch glattlederne Handschuhe. Bedarf danach gab es zu jeder Jahreszeit, die feinen Handschuhe im Frühling und Sommer, die wärmenden im Herbst und ganz besonders im Winter. Lederhandschuhe wurden je nach Auftrag aus Hirsch-, Reh-, Gämsen-, Kalb-, Bock-, Schaf, Ziegen-, Hunde- und Katzenleder, mitunter gefärbt, hergestellt. So feines Zeug musste für Frauenhände besonders weich zugerichtet werden. Aber wer kein Geld für Ledersachen hatte, für den mussten wollene Handschuhe oder solche aus grober Leinwand genügen. Die Rostocker Handschuhmacher hatten es nicht einfach, ihre Arbeit erkannte man schnell an der groben Qualität, sie waren starr und brüchig, eben zu praktischem Wetterschutz gedacht.

 Einen meisterlichen Ruf hatten die französischen Meister in Deutschland, sie verstanden es vorzüglich weiche und elegante Handschuhe anzufertigen. Als Glaubensflüchtlinge kamen sie nach Deutschland und zeigten den einheimischen Meistern wie ein bequemer Lederhandschuh anzufertigen war, damit er nicht nur praktisch, sondern ebenso eine schöne Handbekleidung war.

 Ein drittes Produkt der Beutler war tatsächlich sogenannte Bruchbänder, die zu medizinischen Zwecken verwandt wurden. Um beispielsweise den Leistenbruch zurückzuhalten, bediente sich die Medizin anfangs eines breiten Lederbandes aus der Werkstatt der Beutler. Problematisch war die Befestigung am Körper, man benutzte dazu einen Riemen vom Riemenschneider und Schrauben, Federn, Haken und Ösen. Alle ledernen Bruchbänder wiesen bis in die Hälfte des 17. Jahrhunderts einen großen Nachteil auf, sie waren recht unelastisch. Doch waren die Bruchbänder des Beutlers noch besser als ein hartes Eisenband, das oftmals wenig Erfolg versprechend auf dem platten Land angewendet wurde, mehr zum gesundheitlichen Schaden als zum Nutzen des Betroffenen.

 Ein besonderer Auftraggeber für die Beutler war die christliche Kirche. Für sie wurden Klingelbeutel angefertigt, damit die Geldspende oder Kollekte während des Gottesdienstes zur Versorgung der Armen und Kranken der Stadt sowie zum Erhalt der Kirche durchgeführt werden konnte. Wohlhabende Stadtleute spendeten bereitwillig zu solchen Anlässen in den roten Lederbeutel, die Sammlung wurde danach in der streng verschlossenen Kirchenlade aufbewahrt. Die Beutler waren nicht sehr erfreut als in der Kirche zu Toitenwinkel der Lederbeutel für die Spendensammlung abgeschafft wurde. Hier ging man um 1611 mit einem marienverzierten Bedel (Tablett) durch die Bankreihen um Gelder einzusammeln.

 Die zunftmäßig organisierten Beutler führten ein „geschenktes Handwerk, d. h. wandernde Gesellen ihres Gewerks wurden von den Meistern einer fremden Stadt bereitwillig und kostenfrei im Haus aufgenommen und mit Arbeit versorgt. Als Meisterstück im Beutlerhandwerk waren vom Gesellen in der Regel gefordert: je ein Paar Frauen- und Männerhandschuhe, ein Beutel nach alter Art mit „Schloss und Gesperr“, ein Mönchs- und ein Klingelbeutel. Nicht jedem Meisteranwärter gelang es den hohen Ansprüchen gerecht zu werden, denn ordentliche und solide Schnitt- und Näharbeit war gefordert. Wer von den Gesellen die Prüfung nicht bestand, konnte sich nach einer angemessenen Frist erneut bewerben. Doch mancher junge Mann fühlte sich schlecht behandelt und schloss sich lieber den sogenannten „Pfuschern“ an. Ein Handwerker ohne Meisterschaft aber konnte nicht lange in Ruhe und Frieden arbeiten. So war es nicht nur zur Gewerks-Ehre angezeigt, die Meister Prüfung zu wiederholen und seine Fähigkeiten unter den Augen der Altmeister zu beweisen. Danach war es ihm freigestellt sich dem Amt anzuschließen oder womöglich an einem anderweitigen Ort sein Glück zu versuchen.

 1854 gab es im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin insgesamt noch 16 Beutler. Nach 1900 gehörte der Berufsstand der Beutler in Mecklenburg endgültig der Vergangenheit an, ähnlich erging es den Handschuhmachern.

 Diese „Lederwaren“ erfreuen sich inzwischen wieder großer Beliebtheit, allerdings hat sich das Material grundlegend verändert. Auf dem Weg der industriellen Produktion und mithilfe technischer Verfahren wurde das Leder nachempfunden, so entstanden Kunstleder, Lederimitate usw. Die modernen Produkte werden massenhaft hergestellt und mit modischen Veränderungen im Design aktualisiert, oftmals überdauern sie nur eine Saison. Und tatsächlich sind sie auch zu keiner Zeit aus dem Alltag verschwunden. Man spricht heute nicht schlechthin vom Lederbeutel, sondern hat dem Beutel zwei Riemen angenäht, sodass der veredelte Rucksack in allen praktischen Varianten entstand. Der lederne Beutel in Form des Rucksacks hat quasi eine Renaissance erlebt und wurde zum Erstaunen aller theatertauglich. Wer heute eine handwerklich gearbeitete Lederarbeit erwirbt, der schätzt das einmalige Produkt in der Verarbeitung und im Design. 


Autorin: Hannelore Kuna

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