Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Branntwein ist seit seiner Erfindung der erste hochprozentige Alkohol und war zu allen Zeiten ein die Sinne berauschendes Genussmittel. Es wurde reichlich konsumiert, zeitweise zügellos, sodass sich aus moralischen Gründen bald lautstarke Widersacher fanden.
In der Humanmedizin und in der Tiermedizin nutzte man frühzeitig die desinfizierende Wirkung von Alkohol. Wundärzte und Barbiere sagten dem scharfen Alkohol nach, dass z. B. die Pest ohne Branntwein viel schrecklicher ausgefallen wäre. „Seit der Branntwein wohlfeil ist, trinkt auch der dürftigste ihn; er ist ihnen, wie Skorpionöl, ein Mittel wider alle Krankheiten“, so urteilte man noch Anfang des 19. Jahrhunderts.
Die Herstellung von Branntwein war stets ein wirtschaftlich lohnendes Geschäft, von dem auch der mecklenburgische Staat mit Zöllen, Akzisen und anderen Steuern (Personalsteuer, Blasenzins, Kesselabgabe usw.) seinen beträchtlichen Gewinn einzog.
Erst im 15./16. Jahrhundert begann man in Deutschland Schnaps zu brennen, hier im Norden wurden diese alkoholischen Getränke hauptsächlich aus stärkemehlhaltigem Getreide hergestellt, zuvor wurden allein Bier und Wein getrunken. Zum Kornschnaps kamen im 19. Jahrhundert auch in Mecklenburg weitere hochprozentige Alkohole gebrannt aus Kartoffeln und Rüben hinzu.
Mecklenburg war in seiner wirtschaftlichen Geschichte ein markantes Getreideland, sodass Erträge die nicht zur menschlichen Grundernährung verbraucht wurden, für die Bier- und Branntweinherstellung genutzt werden konnten. Zeitweise versorgte Mecklenburg auch das Ausland mit Kornbrand. 1810 lieferte Rostock den Branntwein bis nach Dänemark und von Wismar ging Branntwein nach Russland.
Die historische Technik der Kornbranntherstellung war dem Bierbrauen in einigen Grundzügen ähnlich. Zunächst wurde eine Maische benötigt, ein Kornschrot, das aus gemalztem und reinem Korn hergestellt wurde. Zum Malzen wurde das Korn einige Tage angefeuchtet, gewendet und an der Luft getrocknet und anschließend wie das rohe Korn grob geschrotet. Beide Anteile wurden nun unter Zusatz von Wasser und Hefe gemaischt, damit die Gärung eintreten konnte.
Diese Maische bzw. Würze wurde in eine Destillier- oder Maischblase (Kupferkessel) eingefüllt, nicht bis zum Rand damit sich die Masse ohne Auszulaufen erheben kann. Zur Beschleunigung des Destillationsprozesses konnte die Maische in einem Vorwärmer (Maischwärmer) vorher schon auf 60 Grad erwärmt werden. Unter starker Feuerung und großer Hitze kam die Maische bald zum Sieden. Kurz vor dem Siedepunkt wurde das Feuer heruntergefahren und auf die Blase der kupferne Helm oder Hut gesetzt. Die Dämpfe stiegen zum Hut auf und wurden durch ein kupfernes Röhrensystem mit Kühlung abgeleitet, damit sie sich als tropfende Flüssigkeit als Gemisch von Wasser und Alkohol niederschlug. Dieser noch zu wasserreiche Kornbranntwein hieß Läuter oder Lutter und wurde ein zweites Mal gebrannt. Was im Vorlauf durch die Kühlröhre floss war der stärkere Alkohol, der Nachlauf war geringer im Alkoholanteil.
Die größte Neuerung im 19. Jahrhundert brachte die Einführung des Dampfbrennapparats, der mit hoher technologischer Effektivität eine reichere Ausbeute ergab.
Der auf diese Weise erzeugte Branntwein war durchaus mit qualitativen Mängeln behaftet, er roch zuweilen stark nach dem Brennrohstoff: Getreide, Kartoffeln oder Rüben. Spezialisten nannten dieses Produkt schlichtweg Fusel, denn jeder Branntweinbrenner benutzte seine eigene Herstellungsmethode und zeitweise konnte sich auch jeder seinen Branntwein selbst herstellen. Was von behördlicher Seite jedoch auf den Hausbedarf eingeschränkt wurde. In einer qualitativ guten Branntweinbrennerei wurde die Maische deshalb mit etwas Eichenlohe oder gereinigtem Baumöl versetzt oder der Branntwein über Mandelkleie oder Kohlen abgeseigt. Allgemein anerkannt war das Filtrieren über Kohlen ein gutes Mittel zur Reinigung.
1818 arbeiteten in Rostock 59 und 1850 20 Branntweinbrenner mit ihren Arbeitern und Lehrjungen. Eine bekannte Rostocker Brennerei war die von Julius Krahnstöver, sie wurde 1803 gegründet und produzierte bis 1940.
Eine zweite bedeutende Schnapsbrennerei, die Lorenz- Brennerei, hatte ihren Ursprung schon zur Mitte des 18. Jahrhunderts gelegt. Per 18. November 1759 verkaufte Frau Anna Langhoff die „Herbergerei, Brau- und Brennerei“ in der Grube-Ecke Fischbank an Jochim Christian Frehse. Nach 51 Jahren, am 4. Februar des Jahres 1810, wurde der Werkstätte unter Leitung von Adolph Friedrich Lorenz die Konzession „auf eine Blase mit 9 Tonnen nebst einem Destillier-Kessel mit 2 Reichsthaler 26 Schillinge“ erteilt. Das war die Geburtsstunde der Lorenz-Brennerei. Unter seiner Arbeit gelangte die Lorenz-Brennerei zu einem beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Er ließ als erster „Kornpatrizier“ der Stadt seinen Sohn und Nachfolger Carl Lorenz Chemie studieren. Tatsächlich zahlte sich die gründliche Ausbildung des jungen Mannes für das Unternehmen aus. So entwickelte er den väterlichen Betrieb mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der Chemie, die seit Justus von Liebig fortschritt, weiter aus. 1891 ließ er wirtschaftlich weitsichtig eine Reinigungsanstalt für den Rohspiritus der landwirtschaftlichen Brennereien Mecklenburgs errichten, die über solche technischen Anlagen finanziell nicht verfügen konnten. Ein Grundproblem des „Fusels“ der kleinen Branntweinbrennereien konnte auf diese Weise qualitativ verbessert werden.
1900 übernahmen Kommerzienrat Adolph Clement und Carl Hinrichsen das florierende Geschäft. Der Trumpf der Firma wurde nach 1900 mit der Branntweinmarke „Rostocker Koem“ gelegt, das war ein ganz spezieller Doppel-Kümmel, der als ein wahrhaftes Männergetränk angenommen wurde - wie es im Volksmund hieß. Die ursprüngliche Rezeptur dieser Marke wurde über Jahrzehnte hinweg kaum verändert und deshalb im Kontor sorgfältig gehütet.
Verändert hatte sich dagegen mit Anfang des 20. Jahrhunderts seine Herstellung, also die technische Seite, wodurch wiederum der Absatz erweitert werden konnte. In einem Laboratorium wurden neben dem Kümmel feinere Spirituosen wie Liköre entwickelt, der moderne Zeitgeist zog auch hier ein, wollte man das Wirtschaftsunternehmen sichern. Mit dem 1. Weltkrieg mussten wertvolle kupferne Brennereigerätschaften zu Kriegszwecken abgeliefert werden, wodurch vorläufig eine Stagnation einsetzte. Nach dem Krieg, ab 1920, wurde das Unternehmen durch die Weinbrennerei erweitert. Dadurch wurde die Produktpalette breiter, ein traditioneller französischer Weinbrandbrandlikör „Cordial medoc“, eine eigene Rostocker feine Hausmarke mit Namen „1810“ sowie einige „Kräuter-Bitter“ kamen auf den Markt.
Eine dritte bedeutende Kornbrennerei in Rostock war die von Conrad Lehment, die 1864 gegründet wurde. Auch diese Brennerei wurde ebenfalls durch einen Rostocker Doppel-Kümmel bekannt, der Produktname ging auch in Mecklenburg durch die landläufige und volkstümliche Bezeichnung „Man und Fru“ ein. Diese Markenbezeichnung pflegte nach 1945 der VEB Kornbrand - Kornbrennerei und Likörfabrik Rostock und ist heute als Lehment Doppel-Kümmel erhalten. Auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia war der Rostocker
Conrad Lehment gemeinsam mit der Kieler Kornbrennerei und Likörfabrik von Fritz Lehment (1848 gegründet) mit Spirituosen seiner Produktion vertreten.
Eine vierte Kornbrennerei, die von Saniter & Weber (Branntweine und Liköre) Rostock stellte schon auf der Wiener Weltausstellung 1873 ihren hauseigenen Kümmel-Korn vor.
Die Rostocker Kornbrennereien des 19. Jahrhunderts schlugen eine moderne wirtschaftliche Richtung ein, denn man orientierte sich am Marktgeschehen. Seit der Wiener Weltausstellung 1873 wurden Liköre in verschiedenen Varianten besonders modern. Die Skala der Sorten war umfangreich, aber die überwiegenden Angebote gingen in die Richtung der Kräuterlikör: Boonekamp, Alter Schwede, Wahrer Jacob, Indischer Kräuterbitter, Melissengeist, Heidelbeergeist, Bitter-Pomeranzen-Likör, Harzkräuter-Bitter, Bismarck-Tropfen, Kölner Tropfen, Husarenbitter, Saarbrücker Magenbitter, Berliner Getreidekümmel, Malakoff, Goldwasser, Schweizer-Alpenkräuterbitter, Germania-Bitter u. a. Korn mit Kümmel (Gilka, Allasch, Doppelkümmel) wurden in der Folge besonders in Berlin, Schleswig-Holstein und in Mecklenburg bevorzugt. beliebt, also typisch norddeutsch.
1907 arbeiteten im Großherzogtum 53 Branntweinbrennereien und Spirituosenfabrikanten mit 260 Beschäftigten.
Autorin: Hannelore Kun