Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Brillenmacher

Brillenmacher

 

Sehhilfen sind etwa seit dem 12./13. Jahrhundert durch sogenannte Sehsteine in Gebrauch, (Kristall, Beryll, spätmittelhochdeutsch: Berille). Handwerklich begabte Spezialisten schliffen klare Edelsteine zu, die zur Vergrößerung auf die Schrift gelegt wurden.

 Vom ungeformten Sehstein als erstes Vergrößerungsglas bis zum dünnen Brillenglas (feiner Linse), mit einer Halterung, war der Weg nicht mehr weit. Im 14. Jahrhundert benutzten Mönche, Gelehrte, Stadt- und Gerichtsschreiber und einige Meister im filigranen Handwerk sogenannte Eingläser oder Nietbrillen als Sehhilfen. Dieser Personenkreis war von der Profession her auf das exakte Sehen angewiesen war und brauchte scharfe Augen. Frühe Brillenformen sind nur aus vereinzelten Beschreibungen und von Darstellungen auf Gemälden aus jener Zeit bekannt. Vornehme Leute mit den plumpen, dicken unförmigen Brillen vor dem Gesicht waren gar verpönt. Unterm Strich fanden die Sehhilfen im Volk wenig Akzeptanz und gingen in die Eulenspiegelei ein.

 Die Menschen waren erfinderisch und behalfen sich bei Sehschwierigkeiten mit dem spielerischen „Gucken durch die Finger“ oder kniffen ihre Augenlider fest zusammen; sie blinzelten durch einen kleinen Sehspalt, um die Dinge deutlicher zu erkennen, wenn es denn notwendig und hilfreich war.

 Die ersten Brillen wurden in Italien angefertigt, in Venedig und Murano (Insel nahe Venedig), wo auch das beste Glas hergestellt wurde. Das Glas musste sehr rein sein, ohne Farbstoff, ohne Grübchen, ohne Körnchen, ohne Blasen, ohne Wellen oder Streifen.

 Die frühen Brillenmacher waren technisch begabt und erfanden auf experimentellem Wege immer wieder neue Möglichkeiten die Sehhilfen zu verbessern. Das deutsche Handwerk der Brillenmacher etablierte sich im 16. Jahrhundert im Süden Deutschlands wie in Nürnberg, Regensburg und Augsburg. Brillengläserfertigung war eine anstrengende manuelle Handarbeit, die Gläser wurden hauptsächlich mit dem Schleifstein geformt wurden, der mit einem Fußschemelantrieb in Gang gehalten wurde. Sie wurden trocken und nass geschliffen, in konvexe, dickbauchige nach außen gewölbte Gläser für Weitsichtige und später in konkave, in nach innen gewölbter Form, für Kurzsichtige.

  Egal ob gerundet oder ausgehöhlt, diese Glasschleiferei war staubig und über die Jahre hinweg gesundheitsschädigend. Es ist allgemein bekannt, dass aus diesem Grunde oft Kinder aus Verwahranstalten und Zuchthäusler für diese Arbeit vermittelt wurden. Waren die Gläser nach entsprechenden Maßen geschliffen, so bauten die Meister ein sogenanntes gestieltes Einglas zusammen. Dafür fassten sie die Gläser in Edelmetall ein und gaben ihnen mit dem Griff, aus ebenso kostbarem Material und Besatz, einen modischen Schick.

 Die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit angefertigten Brillen hatten einen hohen Preis und waren nicht zu jederzeit zu haben, wovon eine überlieferte Geschichte von August dem Starken berichtet. Der sächsische Kurfürst sandte im Jahr 1572 einen Boten nach Leipzig zur Messe, der eine Nasenbrille für ihn erwerben sollte. Doch das Unternehmen war schier aussichtslos, denn der Bote ritt erfolglos nach Augsburg, dann über die Alpen nach Italien, hier wurde aber im Sommer kein Glas geschliffen. Erst im Herbst konnte der Kauf einer Brille für stattliche 1000 Mark vermeldet werden.

 Erst Mitte des 18. Jahrhunderts gelangten Brillen in größeren Mengen zum Verkauf in die Städte. Anfangs gab es die Draht- oder Klemmbrillen, die auch Nasenklemmer genannt wurden in verschiedenen Varianten. Dieses Modell wurde nach 200 Jahren als „Kneiper“ wieder sehr modern. Doch vorerst erfüllten die Nasenklemmer die Anforderung nur ungenügend, weil der richtige Abstand zwischen Nase und Augen schlecht fixiert werden konnte.

 Mit gleichem Handicap war die „Lorgnette“ seit etwa 1780 behaftet, das war eine durchaus elegante Lesehilfe mit einem oder zwei Gläsern und seitlichem Stiel, der zunächst starr und später mit einem beweglichen Gelenk angebracht war.

 Die große Aufwertung der Brille trat mit dem „Ohrenhalter“ ein. Mit dieser technischen Halterung wurde die heutige moderne Brille ab etwa 1745 konstruiert und nach 1790 wurde diese Modell für den Markt bestimmend. Die technische Veränderung war quasi revolutionierend für den alltäglichen Gebrauch der Sehhilfe, zwei Augengläser sind in einem Bügel eingefasst, der auf der Nase ruht und mit verlängerten Seitenflügeln aus Messing oder Horn sich hinter die Ohren haken lässt.

 Ob Nasenklemmer oder Ohrenhalter, fahrende Händler und Hausierer brachten von auswärts diese modernen Sehhilfen an den Mann oder die Frau. Beim Erwerb einer Brille von den Markthändlern, die über keinerlei Fachkenntnisse verfügten, half dem Kunden nur ausdauerndes Probieren. Man setzte beispielsweise auf dem Rostocker Pfingstmarkt eine Sehhilfe nach der anderen auf und nahm schließlich die Brille, mit der man besser, sprich deutlicher sehen konnte.

 1799 sind für Hamburg 7 Brillenmacher verzeichnet, 1801 gründete sich im brandenburg-preußischen Rathenow die später berühmte Brillenglasschleiferei und für die Stadt Rostock ist noch kein Brillenmacher nachweisbar.

Erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts traten in Mecklenburg oder Pommern fachkundige Brillenmacher in Erscheinung und nun konnte auch die Brennweite (Dioptrien) zumindest annähernd gemessen werden, wozu die damalige „Dioptik“ (Sehlehre) wichtige Erkenntnisse lieferte.

 Man begann die Brillen nach ihrer Brennweite zu nummerieren. Je kleiner die Brennweite und Nummer desto „schärfer“ war die Brille, nach der Regel je weitsichtiger und je kurzsichtiger das Auge desto mehr musste die Brille an Sehschärfe ausgleichen. Die Brennweiten reichten von einer Skala von 1 bis 30.

 1804 ließ sich ein böhmischer Glasschleifer Georg Gürtler in Rostock nieder, der sozusagen das Brillengewerbe in der Seestadt eröffnete. Ein Johann Heinrich David Krille aus Berlin gründete nach mehreren Jahren Wanderschaft 1834 in Schwerin am Großen Moor die erste Optikerwerkstatt in Mecklenburg. 1872 arbeiteten in Rostock 5 Optikermeister: Ferdinand Landsmann Optiker, Mechaniker und beeidigter Fleischbeschauer in der Wollenweberstraße, Carl Partsch und Sohn in gleichnamiger Firma am Hopfenmarkt 24, Louis Parts in selbiger Firma und A. Petri am Hopfenmarkt 25.

 Der Enkel von Karl Krille, ursprünglich ansässig in Schwerin, machte sich am 21. Oktober 1894 in Rostock am Blücherplatz 3 mit eigenem Geschäft und dem kundenwirksamen Werbespruch: „Ist's die Brille, geh' zu Krille!“ selbstständig. Bei ihm absolvierten spätere bekannte Rostocker Optikermeister die Lehre oder arbeiteten im Geschäft als tüchtige Gesellen: Kussatz, Schollmeyer, Baudis, Ohlerich und Schmidt.

 Den Krilles wurde im Laufe ihrer Firmenarbeit eine besondere Ehrung zu Teil, die ihre geschäftlichen Aktivitäten und das Ansehen steigerten. Der Schweriner Großherzog beförderte Karl Krille und seinen Bruder, der das Schweriner Geschäft der Krille-Dynastie leitete, zu angesehenen Hoflieferanten. Die gute und sichere Auftragslage konnte nur erreicht werden durch eine ständige Modernisierung. 1905 konnte bei der Firma Krille die erste elektrische Schleifscheibe in Betrieb genommen werden. Der Einsatz eines elektrischen Motors ließ die Produktionspalette deutlich anwachsen, aber in erster Linie die angebotene Qualität der Brillen verbessern. Damit wurden die Produkte von Brillen Krille weit über die Grenzen von Rostock hinaus ein Begriff.

 Der in Rostock geborene Schriftsteller Walter Kempowski (1929-2007) erwähnte den Optikermeister in seinem Buch „Tadellöser & Wolff“. Die Firma Krille konnte sich bis heute auch über schwierige Zeiten erhalten und ist in sechster Generation Rostocks und Mecklenburgs und ältestes Optikergeschäft.

 

Autorin: Hannelore Kuna

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