Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Buchbinder
Die Weiterverarbeitung von Druck-Erzeugnissen erfolgt heute ganz modern in der industriellen Buchbinderei, womit Angebot und Nachfrage schnell und kostengünstig abgedeckt werden. Die Handbuchbinderei dagegen als manuelle und einzigartige Endfertigung eines Manuskripts, ist ein kostenintensives Geschäft. Sie ist inzwischen vorwiegend in der Restauration für Museen, Bibliotheken und Archive angesiedelt und daher ein seltenes Handwerk geworden, aber im Grunde finden sich hier die historischen Wurzeln wieder.
Die Buchbinderei war in Rostock ab 15. Jahrhundert repräsentativ vertreten, sodass auch nach diesem Handwerk eine Straße benannt wurde. In dieser Universitäts-, Handels- und Behördenstadt hatte sich eine Auftragslage für Verlage, Buchdruckereien und Buchbindereien entwickelt. In einer großen mecklenburgischen Stadt, wo durch die Universitätsleitung, Universitätsprofessoren, dem städtischen Rat, Kirchenherren, herzoglichen Gerichtsherren usw. Manuskripte per Hand geschrieben und dann auf Bögen gedruckt wurden, konnte sich die Buchbinderei als handwerkliches und zugleich künstlerisches Gewerbe vervollkommnen.
Die Buchbinder organisierten sich bis 1945 in einem Handwerksamt, die früheste erhaltene Amtsrolle im Rostocker Stadtarchiv mit 24 Artikeln stammt von 1577, 1614 wurde sie neu erarbeitet und vom Rat bestätigt. Eine erhaltene Buchbindergesellenordnung datiert von 1581 und eine weitere Rolle mit Zusätzen von 1608.
Die Arbeit des Buchbinders als Schlussglied in der Kette der Buchherstellung nahm starken Einfluss darauf, ob ein schönes handhabbares, blätterbares und doch zusammenhaltendes Buch entstehen konnte, womit auch er sich neben dem Autor, dem Papiermacher und dem Verleger ebenso einer Buchkritik aussetzte. So kritisierte z. B. Wilhelm Wackernagel (1806-1869) die mangelnde Qualität einer Auflage, weil auf verschiedenen Seiten Randbemerkungen abgeschnitten waren, „das Pergament war dem Buchbinder eben zu lang“, so der Kritiker, heute nennt man das „Mangelexemplar“ oder es würde gleich eingestampft werden.
Die erste nachweisbare Buchbinderei zu Rostock war; wie die Druckerei auch, nach 1476 durch die „Brüder vom gemeinsamen Leben“ angesiedelt worden. Von der Buchdruckerei des Dr. Nikolaus Marschalk Thurius (1470-1525) wissen wir, dass er 1521 bei einem Lübecker Buchbinder namens Meister Hans zwei Buchdruckerpressen bestellte. Aus dem Rechnungsbuch von Herzog Ulrich von Mecklenburg (1575-1585) ist zu erfahren, das „zue Rostock haben wir binden lassen sex exemplarr der neuen gedruckten Augsburgischen Confession. Darfur geben 6 marckstuck“. Die Rostocker Buchbinderei war also durchaus im Land gefragt.
Insgesamt sind die Arbeit und die Kunstfertigkeit der Buchbinder weit älter als der moderne Buchdruck. Schon kurz nach Gründung der Stadt Rostock entstand in der Verwaltung (im damaligen Rat) umfangreiches Schriftgut, das bald nach Sachthemen geordnet und bei Anhäufung zusammengefügt oder gebunden werden musste und in Folge entstand das erste Stadtbuch und damit das erste Buch Rostocks überhaupt. Dieses älteste Stadtbuch ist inzwischen eine archivalische Kostbarkeit, es gibt Auskunft über den Zeitumfang von 1254-1273, es besteht vom Material her betrachtet aus 2 Blättern bzw. Karten, drei Heften und einen gebundenen Komplex aus neun Lagen in Pergament.
Unter kirchlichem und klösterlichem Dach und dessen Schutz hinterließen Buchbinder noch vor Gutenberg (1450) ihre historischen Spuren. Mittelalterliche Bücher waren großformatig, mit schweren Holzdeckeln geschützt, Bändern, Scharnieren und mitunter auch mit Schlössern versehen. Die enge Verbindung von katholischer Kirche und (Wissens)Studium förderte die Buchbindung in streng religiöser Richtung und verlieh den Buchhandwerkern eine besondere Stellung.
In Wien zählten Buchbinder zu den gelehrten Berufen, in Paris und einigen deutschen Universitätsstädten wie später auch in Rostock genossen sie akademisches Bürgerrecht. In Rostock gehörten sie nach den Polizei- und Hochzeitsverordnungen des 16. Jahrhunderts zu den „mittleren Standespersonen“, denen es erlaubt war, ihre Hochzeit von Mittags bis in die Nacht zu halten, während niedere Standespersonen erst ab dem Abend feiern sollten.
Die Buchbinderei profitierte nach der Reformation von einer aufgeklärteren Welt. Hauptsächlich in deutschen Universitätsstädten und im Norden Deutschlands, einschließlich von Nürnberg und Augsburg im Süden, entwickelte sich ein neues und breites Lesepublikum mit Bedürfnissen nach schöngeistiger Literatur und offen für Informationen und Neuigkeiten aus der Welt. Diese neuen literarischen Bedürfnisse gaben dem gedruckten Wort insgesamt einen kräftigen Aufschwung, brachten Arbeit für Verlage, Buchdrucker, Buchbinder und ließen mit dem Buchhändler bzw. Buchführer einen neuen Beruf entstehen.
Von Anfang an kam es zwischen den Buchhändlern, die damals mit allen Produktionskosten in Vorkasse gingen, dann auf Messen und Märkten die Bücher dem Leser verkauften, und den Buchbindern, zu wirtschaftlichen Konflikten, die vielfach gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge hatten.
Buchbinder waren mitunter gleichfalls mit dem Recht des Buchhandelns ausgestattet worden, was dem Buchführer finanzielle Verluste einbrachte. Der Buchbindermeister Hans Meier in Rostock konnte um 1525 auch als Buchverkäufer erfolgreich sein. Er verkaufte wie seine Nachfolger später hauptsächlich in eigener Werkstatt gebundene ABC-Bücher für die Schulen: Bibeln, Katechismen, Gesangsbücher, Gebetsbüchern und Kalender. Somit ging das fertige Buch nach der letzten Station der Buchproduktion direkt an den Kunden - also aus der Buchbinderwerkstatt zum Leser. Hans Meier in Rostock oder ein ebenso erfolgreicher Buchbinder Johann Paul in Bamberg, fuhren nicht zu Märkten oder zur Frankfurter oder Leipziger Messe und sie unterhielten keinen Buchladen im Unterschied zum Buchhändler; aber die Bürger nutzten die Werkstattnähe, ein wirtschaftlicher Vorteil für sie und zum großen Ärger für den Buchhändler in der Stadt.
Bis Ende 18. Jahrhundert glätteten sich die Wogen zwischen Handwerk und Handel, Buchbinder und Buchhändler. Verlage und Buchhändler vereinnahmten für sich die meisten Sparten der umfangreichen Literatur durch geebnete Vertriebswege. Aber nach wie vor verblieb in einigen Regionen der Verkauf von Schulbüchern, Bibeln und Kalendern bei den Buchbindern. Der Buchbindermeister wiederum erweiterte sein bisheriges Arbeitsfeld durch die Futteralherstellung für Brillen, Schmuck und durch kleine Kästchen.
Das Buchbinderhandwerk zählte in der Zunftzeit zu den geschenkten Handwerken. Das Geschenk bestand in 4 bis 6 Groschen für den wandernden Gesellen, zusätzlich hatte der eingewanderte Geselle auch freie Unterkunft. Der Lehrjunge hat besondere Bedingungen zu erfüllen, er sollte fließend lesen, akkurat und schön schreiben können. Für seine Bewerbung war es vorteilhaft, wenn er eine gewisse Kunstfertigkeit besaß, Zeichnen konnte sowie in Fremdsprachen wie Latein und Französisch bewandert war. Das Zeichnen half genau und akkurat zu arbeiten sowie ein richtiges Augenmaß zu entwickeln, das für den Buchbinder unbedingt erforderlich war. Künstlerisches Talent war zur Gestaltung des Deckels im Umgang mit Holz, Leder, Samt, Seide und bei Verzierungstechniken mit Gold und Silber nötig. Ehe ein Lehrbursche eingeschrieben wurde, musste er seinen Geburtsbrief vorzeigen, der dann im Original plus Kopie in der Meisterlade hinterlegt wurde. Die Lehrzeit gründete sich häufig auf einen darüber getroffenen Vergleich und konnte auf 4 bis 7 Jahren dauern.
Im Handwerk herrschte ein besonderer Brauch des Gesellenmachens. Mit der Lossprechung des Lehrlings nach erfolgter Lehre war er noch kein fertiger Geselle, sondern nur „Pachant“. Er musste das Ritual des „Barbieren, Examinierens und Taufens“ über sich ergehen lassen. Diesen Brauch pflegten gemeinsam mit Rostock weitere 15 deutsche Städte und Rostock hatte als Erstes dafür das kaiserliche Privileg erhalten.
Als Meisterstück fertigten die Buchbinder in der Regel vier Arbeiten zur Probe an, darunter oft eine Bibel im Großformat und in Kalbsleder gebunden. Das Leder dazu sollte der angehende Meister vorher selbst rot färben. Rücken und Deckel sollte er mit „zusammengesetzten Stempeln und Fileten vergolden und mit Klausuren beschlagen“.
1796 gab es im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin 28 Buchbindereien verteilt auf 13 Städte: Rostock 6, Schwerin-Altstadt 4, Güstrow 4, Parchim 2, Malchin 2, Waren 2, Grabow 2, Boitzenburg 1, Bützow 1, Gadebusch 1, Lübz 1, Plau 1, Schwerin-Neustadt 1.
Nach den städtischen Katastern von 1852 existierten in den Städten des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin insgesamt 96 Buchbindereien, davon arbeiteten in der Seestadt Rostock 15 Buchbinder im Kleinhandwerk.
Das Ende des 19. Jahrhunderts brachte neue Techniken mit, das sogenannte Lumbeck-Verfahren mit fadenloser Klebebindung löste die Jahrhunderte alte Fadenbindung ab und hinzukam um 1900 die Drahtheftung. 1904 existierten im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 2 Buchbinder-Innungen als freie Innungen mit 20 Beschäftigten, 8 Gesellen und 14 Lehrlingen. 1907 und 1909 legte jeweils ein Buchbinder die Meisterprüfung vor der Handwerkskammer Schwerin ab und 1902 wurden 10 Gesellenprüfungen, 1903: 6, 1904: 9, 1905: 14, 1906: 11, 1907: 7 und 1908: 13 abgelegt.
Zum Handbuchbinden gehörten Leim, ein fester Faden und jede Menge Papier, daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur wer selbst einmal ein altes Buch näher betrachtet, der kann ahnen, welche handwerkliche Leistung in einer solchen Anfertigung liegt.
Autorin: Hannelore Kuna