Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Dachdecker
Jede Stadt zeichnete sich seit ihrer Gründung durch die schillernden Dachformen der Türme, Kirchen, Speicher und Bürgerhäuser aus, sie gaben der Stadt von Anbeginn ein unverwechselbares Bild, sodass im Laufe der Jahrhunderte eine historisch gewachsene Silhouette geprägt wurde.
Frühe bildhafte Ganzdarstellungen zeigen den Stadtgrundriss und eben die charakteristische Silhouette aus verschiedenen Himmelsrichtungen, auch wenn der jeweilige Künstler mitunter seiner Fantasie freien Lauf ließ. Die beliebteste Stadtansicht von Rostock wurde aus nördlicher Richtung gezeigt, beispielsweise bei den Künstlern Hans Weigel 1550/60 und Franz Hogenberg in einem Kupferstich von 1597. Doch aus welcher Perspektive auch immer, die roten Sattelziegeldächer zeigten ein farbenfrohes, belebtes Rostock.
Das Dachdeckerhandwerk hat sich von den Bauhandwerkern als eigenständiges Gewerk herausgebildet. Das dauerte seine Zeit, bevor sie als selbstständiges Gewerk anerkannt waren, jedoch gehörte von Anbeginn des Hausbaus die wetterfeste Dacheindeckung dazu. Die Handwerker, die sich mit dem Dachbau professionell abgaben, wurden so vielfältig benannt, wie es Materialien dafür gab.
In Rostock wie in anderen mecklenburgischen Städten gab es bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts die Turmdecker (als Spezialisten für die sehr hohen Kirchentürme), Bleidecker, Kupferdecker, Schieferdecker und eben die Ziegeldecker. Wegen der Feuergefahr wurden ab dem 14. Jahrhundert Ziegeldächer für wertvolle Gebäude verwendet und später auch für die Bürgerhäuser verordnet - und so entstand der Beruf des Ziegeldeckers.
Häufig wurden die Ziegeldächer schlichtweg von Maurern gefertigt. An Stadtrandgebieten, kleineren Städten und auf dem platten Land, gab es sehr lange die Stroh- und Rohrdecker, da diese einheimischen Materialien besonders in den Küstengebieten vor der Haustür wuchsen und daher sehr kostengünstig waren. Die historischen Dacheindeckungen mit Reet werden heute wieder gepflegt und haben durch das denkmalgeschützte Bauen eine Wiederbelebung erfahren.
Die Handwerksbetriebe der Dachdecker waren in der Regel klein, und die Kapitalvoraussetzungen für den Meister gering, da nur wenige Geräte und Werkzeuge wie Dachleiter, Kelle, Säge, Seile, Spitzhammer oder Zange benötigt wurden. Die Meister und Gesellen der Dächer unterlagen zunächst keinen Zwang zur eigenen Zunftgründung, sie traten je nach ihrer Spezialisierung den Zünften des Bauhandwerks bei, hauptsächlich dem Maureramt von Rostock, aber auch der Kupferschmiedezunft u. a.
Erst nach 1850 begann sich überall im deutschsprachigen Raum die allgemeine Berufsbezeichnung Dachdecker durchzusetzen und es bildeten sich trotz Gewerbefreiheit Dachdecker-Innungen, um das eigene Gewerk aufzubauen. Ein notwendiger Grund bestand darin, die speziellen wirtschaftlichen Interessen z. B. vor den Maurern oder anderen Baugewerken zu schützen. Auch für die Dachdecker standen die Sicherung der Arbeitstätigkeit und damit die Sicherung ihres täglichen Einkommens und der Familienerhalt im Vordergrund.
Als erste nachweisbare dachdeckende Handwerker erscheinen im 13. Jahrhundert in Rostock die Lehmdecker, sie sind noch vereinzelt bis nach 1600 beispielsweise in Güstrow nachweisbar. Sie fertigten eine Dachdeckung an, die mit in Lehm eingelegtem Stroh bestand. Dafür wurden Stroh und Lehm nass miteinander vermischt und zusammen in eine Holzform gelegt, die einer größeren Schindel glich. Nachdem die Lehm-Stroh-Masse an der Luft abgetrocknet war, konnten nunmehr die fertigen Schindeln auf einer Bretterverschalung verlegt werden. Vermutlich wurden in Rostock in dieser frühen Zeit noch massenhaft die Dächer mit Stroh-Lehm oder später mit Rohr gedeckt. Der Lehmdecker musste überflüssig werden oder im Handwerk umlernen, als neue stabile Dachmaterialien wie Ziegeln, Schindeln, Kupfer und Zink aufkamen.
Die Dachdeckerei verlangte einiges Wissen über die Materialien, erforderte handwerkliches Geschick und Arbeitserfahrung. Voraussetzung für jegliche Dachdeckerarbeit war dabei eine gute Zimmermannsarbeit. Es war also sehr wichtig, wie exakt der Dachstuhl und insbesondere die Sparren errichtet waren. Wenn lediglich Maurer die Ziegel legten und mit Mörtel verstrichen, was häufig vorkam, brachte der Zimmermann auch die Latten an. Sie sollten parallel zum First und im richtigen Abstand von oberer Lattenkante zur nächsten oberen Lattenkante nach der jeweiligen Dachsteingröße verlegt und angenagelt sein, sonst wurden die Ziegelreihen und das ganze Dach schief und durchlässig.
Anders die Ziegeldecker, sie setzten und nagelten dank ihrer Professionalität dagegen die Latten selbst. Bezahlt wurden die Ziegeldecker je nach tausend Stück Dachsteinen, die aufgelegt wurden, hinzu kamen auf den Preis entsprechende Aufschläge nach Anzahl der Stockwerke.
Auch die Dachziegel wurden im Laufe der Jahrhunderte durch Material, Größe und Form erheblich verändert, maßgeblichen Anteil hatte daran die zunehmende technische Herstellung. Als älteste Dachziegelform sind die Mönch- und Nonnendachziegeln aus gebranntem Ton bekannt. Dabei wurden immer zwei konisch geformte Hohlziegel ohne Verpfalzung gelegt, von denen der eine größer ist als der andere (Mönch und Nonne) war, beide zusammen bildeten ein Paar. Bereits das ehemalige Kloster Marienehe war ursprünglich mit den Nonnen- und Mönchziegeln eingedeckt worden, allerdings sind heute davon keine Spuren mehr vorhanden. Noch um 1860 waren die Dächer der Rostocker Hauptkirchen teilweise mit diesen Ziegelarten belegt, insbesondere ihre Abschrägungen und die Turmdächer.
Bei den großen Kirchendächern mit den Seitenschiffen, Türmen und Dachreitern brachte die Zeit eine gemischte Dachdeckung von Kupfer, Schiefer und verschiedenen Dachziegelarten hervor. So waren bei der im 2. Weltkrieg völlig zerstörten St. Jakobi-Kirche bis Ende des 19. Jahrhunderts die Turmspitze mit Kupfer, das Satteldach des Mittelschiffs mit Schiefer, die Pultflächen der Nebenschiffe mit Flachziegeln und das Dach der östlichen Kapelle mit Mönch und Nonne bedeckt. Diese Dacheindeckung war ein historisches Lehrbeispiel für veränderte Dachmaterialien und sehr interessant für den Betrachter.
Für die Wohnhäuser mit steilen Dächern haben sich bis in die heutige Zeit mit den „platten und den hohlen Dachziegeln“ zwei Grundformen herausgebildet. Erste hießen früher Zungenziegel, Hackenziegel, Fachziegel und wie heute Bieberschwänze. Die zweite Ziegelart sind die Dachpfannen, auch Hohlziegel, Hohlpfannen, Krempziegel genannt; alle Varianten sind zu erkennen am lateinischen S im Querdurchschnitt. Platte Dachziegel und Schiefer waren im Süden und Westen Deutschlands vorherrschend, während die Dachpfannen (Hohlziegel) in Norddeutschland ihre breiteste Anwendung fanden.
Für die Bürgerhäuser der Seestadt galt das „alte Rostocker Pfannendach“ als typisch, so eine denkmalpflegerische Einschätzung aus dem Jahr 1931. Die Pfannen boten fachmännisch gut verarbeitet Schutz gegen Feuchtigkeit, Regen und Schnee. Die Rostocker Bürger waren sehr darauf bedacht ihre Dächer wie die Häuser in einem guten Zustand zu erhalten und jährlich einmal alles von einem „Kunstverständigen“ nachzusehen und im Schadensfall ausbessern zu lassen.
Beim Eindecken kannten die Meister im 18. und 19. Jahrhundert ihre kleinen Betriebsgeheimnisse. Unter die Pfannen legten sie Strohwiepen anstatt Dachmörtel, um das Eindringen von Schnee und Regen zu verhindern. Am Dachstuhl konnte man die Sparren breiter setzen und dadurch Holz einsparen, weil die Dachhaut leichter wurde.
Gegen die erste Methode wendete sich aber bald der Brandschutz. Nach den „Artikuln der Brand-Assecurations-Gesellschaft der Städte“, mecklenburgisch-landesherrlich bestätigt am 30. Juli 1785, durften in einer in die Feuerversicherung aufzunehmenden Stadt keine mit Strohwiepen gedeckten Ziegeldächer mehr vorhanden sein. In Rostock gründete sich schon 1782 eine Brand-Entschädigungs-Gesellschaft, und diese handelte später ebenso wie die Brandkasse für die anderen mecklenburgischen Städte. Nun deckte man wieder die Pfannen mit Kalkmörtel oder Gipsmörtel ein, sodass die Dächer schwerer wurden und sich eventuell Notsparren erforderlich machten. Aber die „Bewiepmung“ kam immer wieder mal vor, sodass sie in der Bauordnung für Warnemünde vom 30. Oktober 1848 erneut auf der Verbotsliste des Rostocker Dachdeckergewerbes stand.
Bei den Pfannendächern der Rostocker Bürgerhäuser kam es im Übergang vom 18. zum 19. zu gravierenden Veränderungen wie sich auch das gesamte städtebauliche Aussehen Rostocks so zusagen um 100 Grad veränderte. Das Rostocker Stadtbild wurde bis dahin hauptsächlich von gotischen, teilweise schon neuzeitlich überformten Giebelhäusern dominiert. Das Aussehen der Schaugiebel veränderte sich jeweils von der Gotik, zur Renaissance und bis zum Barock, anfangs wurde eine die Höhe betonende Stufenform präsentiert, zum Schluss wählten die barocken Baumeister eine weiche, in Rundungen auslaufende Giebelform. Die Dächer hingegen blieben gleich, in der Hauptsache waren es nicht allzu steile Satteldächer und sie wurden durch den Giebel den Blicken der Passanten entzogen.
Etwa von 1770 bis 1820 ab begann man konsequent und vor allem aus Platzgründen Traufenhäuser längs zur Straße zu errichten, womit das Ziegeldach wie in keiner Periode zuvor sichtbar wurde. Hinzu kamen neue modische Dachformen wie das Mansardendach, das Wohnraum unter dem Dach mit Fenstern und mit wenig schrägen Wänden brachte und an die Dachdeckerei neue qualitative Anforderungen stellte.
Neben dem Ziegeldach gab es aber bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Warnemünde noch althergebracht das Strohdach auf etlichen Wohngebäuden und in den Vorstädten Rostocks Holzdach mit Überzug durch geteerte Leinwand und geteerte Pappe. Eine Ratsverordnung vom 5. Januar 1846 gebot den Dachdecker modern zu verfahren und den Teer „noch bevor er trocknete, stark mit Sand oder Hammerschlag zu bestreuen“. Dächer mit Holzschindeldeckung waren für Rostock nicht typisch, kamen aber hin und wieder vor und wurden wegen der Brandgefahr 1848 verboten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich im städtischen Wohnungsbau das Pultdach mit wenig Dachneigung zu verbreiten, vor allem bei mehrstöckigen Arbeiterwohnhäusern und Mietskasernen. Parallel dazu verlief die Industrialisierung, durch die Produktionsgebäude und Lagerhallen mit großflächigen Dächern entstanden und die vom Gewicht her ein leichtes Material verlangten. Die Dachdecker verarbeiteten dafür mit der Dachpappe eine neue Deckung, das diesen Anforderungen genügte und die Dachfertigungszeit wesentlich verkürzte. Das Gewerk der Dachdecker hatte mit der Rostocker Dachpappenfabrik Dietrich Riedel an der Tessiner Chaussee bei den Krammonstannen, der ersten deutschen Dachpappenfabrik, einen Partner mit Qualität hinter sich.
1907 arbeiteten im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 183 Dachdeckereien mit 384 Beschäftigten, die Ziegel, Schiefer, Dachpappe und Rohr verarbeiteten.
Autorin: Hannelore Kuna