Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Drahtzieher

Drahtzieher


Drahtzieher gehörten zum Metall verarbeitenden Handwerk und sie arbeiteten mit bekannten Materialien wie Eisen und Stahl, Gold, Messing, Silber und Kupfer. Viele heimische Drahtzieher waren abhängig von Zulieferern, die ihnen bereits vorgeformtes Halbmaterial zur weiteren Bearbeitung anboten. Aus ihm wurde der Draht variabel gefertigt in unterschiedlichen Größen und Stärken im Querschnitt, je nach Beanspruchung und erforderlichem Bedarf.
 Der wohl feinste Draht, als Seitendraht bekannt, wurde für verschiedene Musikinstrumente gefertigt sowohl für zart klingende Geigen als auch für stimmgewaltige Cellos und für Klaviere. Dieser besondere Draht entstand aus fein gehärtetem Stahl und er durfte vor dem Ziehen niemals geglüht werden, da der Draht sonst keinen hellen Klang zuließ. Die Alternative zum Stahl bestand in polierten Drahtseiten aus Messing. Auch die Querschnittsform von Drahtwaren wurde jeweils nach dem Bedarf angepasst. Am häufigsten wurde die runde Form gebraucht, es gab aber ebenso den halbrunden, viereckigen, rosenförmigen, mond- oder einen sternenförmigen Draht.
 Eine große Anzahl von Handwerkern brauchten Draht als Hilfs- und Arbeitsmittel in ihrer Profession, denn er erfüllte bei unzähligen mechanischen Hilfsmitteln und Maschinen wichtige Aufgaben.

 Dazu bildete Draht das allgemeine Ausgangsmaterial für viele alltäglichen Handelsprodukte z. B. alle Arten von Nadeln, Haken und Ösen, Metallringe, Wollkämme und Metallbürsten; allerlei Schrauben und Stifte, Fischangeln, Gitter, Siebe, Käfige, Papiermacherformen, gewundene elastische Federn, kleine Ketten, Pfeifendeckel u. dergl. Aus Draht entstanden die Öhre der Knöpfe, die Dorne der Schnallen und Scharniere.
 Hauptsächlich wurde der Draht in groben Formen in den Zentren der Eisengewinnung und von Bergwerksgebieten erzeugt. Er wurde dort als Massenware auf Rollen usw. hergestellt, in den Großhandel gebracht und bei den Empfängern wie in Rostock von einheimischen Drahtziehern nochmals auf die Kundenbestellungen hin zugearbeitet.

 Die handwerkliche Bearbeitungstechnik blieb bis um 1800 im Wesentlichen gleich. Die geschmiedeten Eisenstangen bekannt als Zainen, oder der vorgefertigte Draht (Halbware), wurden geglüht und dann durch ein Zieheisen mit entsprechenden Löchern mit großem Kraftaufwand auf die erforderlichen Maße gezogen. Das geschah wiederholt durch Einsatz mehrerer Arbeiter oder mithilfe von Mechanik. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde mit der sich rasch entwickelnden Industrialisierung die effektive Walztechnik erfunden und eingeführt.
 Schon im 18. Jahrhundert importierten Rostocker Eisenwarenhändler Draht in großen Mengen. Die Handelsbeziehungen bestanden insbesondere zu den Messingwerken nach Neustadt/Eberswalde sowie in das entfernte Rheinland und in die westfälische Grafschaft Mark. Auf den Hüttenwerken der preußischen Rheinprovinz und der Provinz Westfalen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts 42 verschiedene Drahtsorten verfertigt.
 Für den Rostocker Eisenwarenhandel war das bei Hagen-Haspe durch Johann Caspar Harkort um 1674 gegründete westfälische Handelshaus bedeutsam. Spätestens seit 1743 belieferte Johann Harkort III. den Rostocker Kaufmann Johann Friedrich Hülsenbeck mit Stahlwaren wie Messer, Sensen und Draht und empfing von diesem für die Rückfracht mecklenburgische Bettfedern. Die Rostocker Ratsherren interessierten sich auch für Schießpulver aus dem großen Angebot des Harkorter Handelshauses. 1746 übernahm dann Hülsenbeck erstmals größere Mengen an Eisenwaren in Kommission und errichtete für das märkische Handelshaus Harkort ein Eisenwarenlager zur Belieferung seiner mecklenburgischen Geschäftspartner. Über das Lager gelangten die Handelswaren Draht, Sensen und Messer regelmäßig auf den Rostocker Pfingstmarkt, dem wichtigen Handelstor in die Nordländer und nach Pommern.

 Harkort trug das unternehmerische Risiko, Hülsenbeck war mit Provision von 2 Prozent am Umsatz beteiligt. Harkort war ein eifriger Geschäftsmann, in Geschäftsbriefen erkundigte er sich regelmäßig bei Hülsenbeck nach dem Verlauf des Geschäftsbetriebes auf dem Pfingstmarkt. 1748 hatten sich dann auch die Rostocker Geschäftsbedingungen durch die Abschaffung des Warnemünder Zolls erheblich verbessert.
 Der Warentransport verlief nicht unproblematisch, zum Transport der schweren Erzeugnisse aus Westfalen an die Ostsee benutzte man den Landweg und seltener den Seeweg. Über Land brauchte man mit den Gespannen aus der Mark bis nach Rostock etwa 16 bis 21 Tage. Wenn die Haupttransporte im Jahr die Pfingstmesse erreichen sollten, so mussten sie spätestens Anfang Mai aus der Mark abgehen. Harkort mietete auf der ganzen Wegstrecke etappenweise Bauernfuhren, wozu die Produkte immer wieder umgeladen werden mussten. Einmal 1752 wurde die Einhaltung des Termins zur Pfingstmesse knapp, da die Bauern aufgrund des langen Winters die Bestellung ihrer Felder vorzogen. Für diese besonderen Fälle und späterhin dann allgemein schaffte man sich einen eigenen Fuhrpark an. Und wenn die Nachfrage in Rostock die Kapazität aller Fuhren übertraf, ließ Harkort durch Speditionen in Lüneburg und Hannover den Nachschub sichern.
 Zwar galt wirtschaftlich das Prinzip, dass schwere Waren generell aufs Schiff gehörten, doch der Seeweg erwies sich auch nicht immer als günstig. Aus der Mark kam die Schiffsstrecke Amsterdam-Rostock mit Zahlung des Sund-Zolles in Betracht, aber diese lange Verkehrsverbindung wurde nicht kontinuierlich befahren. Kam es doch dazu, bezog das Handelshaus Harkort als Retourfracht aus Rostock Stockfisch, Tran, Leinsamen, Gänsefedern und andere Alltagswaren. Der Rostocker Kaufmann Hülsenbeck unterhielt etwa 35 Jahre enge Geschäftsbeziehungen mit der Metall-Firma Harkort, aber nach Hülsenbergs Tod konnten die Geschäfte nicht mehr fortgesetzt und das Eisenwarenlager musste schließlich 1778 aufgelöst werden.
Ende des 19. und im 20. Jahrhundert stieg der Drahtbedarf durch neue technische Erfindungen in so großem Umfang an, dass die industrielle Produktion gefördert wurde: Alles wurde gebraucht, angefangen von Zäunen, Stahlseilen bis zu Strom- und Telefonkabeln. Am 24. Februar 1924 gründete der Rostocker Kaufmann Carl Bremer in der Krämerstraße die Firma „Eisenwerk Draht-Bremer KG“. Die Produktion begann mit einer Handspinnmaschine für Viereckgeflechte und schon nach einem Jahr wurden 13 Mitarbeiter beschäftigt. 1928 wurde ein Knotengitter mit einem Patentknoten entwickelt, das im Weidebereich der mecklenburgischen Landwirtschaft äußerst erfolgreich war. In Verbindung mit Oval-Draht durfte diese Produktionsstrecke selbst während der Materialknappheit im 2. Weltkrieg weitergeführt werden. 1938 erfolgte die Grundsteinlegung für eine komplett neue Fabrikation am Dierkower Damm in Rostock. Mit über 200 Mitarbeitern konnte man 1939 von der Krämerstraße aus in die neuen Gebäude umziehen. 1946 nahm Wilhelm Bremer, der Sohn von Carl Bremer, nach Kriegsgefangenschaft die Arbeit im 1942 errichteten Auslagerungsbetrieb Marktheidenfeld auf. 1948 erfolgte die Enteignung der Firma von Carl Bremer, die dann im Westen Deutschlands eine Fortsetzung fand.
 

Autorin: Hannelore Kuna

Share by: