Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Da das Wehr- und Wachtwesen der mittelalterlichen Stadt Rostock zu den wichtigsten Aufgaben gehörte, wie die Geschichte lehrt, z. B. in beiden dänischem Kriegen gegen König Woldemar (1362, 1368) oder die verschiedensten Seekriegsräubereien, brauchte man zur Herstellung von Geschützen, Geschossmaterial und später des Schießpulvers tüchtige Leute aus diesem Gewerk.
Die ersten Geschossmeister unter ihnen waren Spezialisten, die in Rostock „balistarii“ hießen und in dem Fragment eines Stadtbuchs von 1278/1284 schon so lateinisch aufgeführt werden. Oft geben Kämmereibücher aufschlussreiche Auskünfte, da die Kosten für Material und Personenbesoldungen sorgfältig festgehalten wurden. Die Stadt Stralsund verfügte in den 70 Ger Jahren des 13. Jahrhunderts über 53 Wurfgeschütze, die auf Türmen und Zingeln der Wehranlagen in Stellung gebracht werden konnten.
Anfang 14. Jahrhundert waren auch die Rostocker Ratsherren bestrebt, geschulte und erprobte Kräfte in feste Stadtdienste zu stellen, sie somit zeitlebens an Rostock zu binden. Das war nicht einfach, die Geschossmeister waren das Herumwandern gewohnt und sehr begehrt wegen ihrer Fähigkeiten. 1348 wird ein Balistenmeister mit Namen Eberhard in einem fest geregelten Dienst- und Lohnverhältnis zu der Stadtobrigkeit erwähnt, 1354 sah sich der Rat genötigt, einen zweiten „balistarius“ anzustellen; im 15. Jahrhundert bildeten die „balistarii“ wegen ihrer gewachsenen Anzahl ein eigenes Handwerkeramt.
Weiterhin gehörte zu den fest besoldeten Geschütz- und Waffenmeistern der Pfeilstecker oder „Luchtemaker“; der Brand- und Feuerpfeile sowie alle anderen Geschoßarten vorrätig herstellte. Auch dieser Handwerker war ein Spezialist und Alleinarbeiter, der seine Fähigkeiten bei verschiedensten Meistern durch sein Herumziehen Stadt für Stadt erworben hatte.
Bei den frühen Geschützen des 13. und 14. Jahrhunderts handelte es sich um mechanische, meist schwere Schleuder- und Wurfmaschinen, mit denen von der Stadtmauer, von den Türmen und Wiekhäusern aus, die Stadt gegen feindliche Angriffe verteidigt wurde. Die Verteidigung muss nicht leicht gewesen sein. Besonders gefährdet waren stets die Zugänge wie Stadttore und Brücken, daher gab es feste Einlass- und Schließzeiten. Außerdem taten hier u. a. Wachtmeister, Hauptmann, Stadtsoldaten, Feuermeister, Stadtknechte und Feldhüter spezielle Dienste im Auftrag der Stadt für ihr Wehr- u Wachtwesen.
Wie die Kriegsmaschinen von Rostock anfangs aussahen, weiß man nicht. Erst im Anfang des 14. Jahrhunderts werden in der Chronik von 1311/14 unter den Rostocker Waffenbeständen bestimmte Geschütztypen erwähnt, und zwar für das hohe Mittelalter charakteristischen Geschütze, die sogenannten „Bliden und Werke“.
Die „Blide“ war eine mechanische Schleudermaschine (Gegengewichtsschleuder), die das Geschoss im Bogenwurf bis etwa 600 m auf ein Ziel treiben konnte, um beispielsweise in steilem Einfallswinkel Mauerwerk und Befestigungsanlagen mit schweren, grob behauenen Feldsteinen oder durch Brandsätze von oben her zu durchschlagen. Große Bliden konnten sogar Felsbrocken von mehr als 1 Tonne Gewicht bis zu 100 m weit werfen, sie zählten zu den am meisten gefürchtetsten mittelalterlichen Steinschleudern. Sie bestanden fast vollständig aus Holz und waren zerlegt transportabel.
Bau und Bedienung einer Blide setzten technisches Fachwissen voraus, in der Planung musste alles genauestens berechnet werden: Grundgestell, Höhe des Achslagers, Größe des Gegengewichtskasten, Länge des Wurfarms; der Blidenmeister musste ein tüchtiger ausgebildeter Spezialist sein. Seine praktischen Fähigkeiten hatte er durch Dienste in verschiedenen Orten erworben, wiederum bei anderen Meistern, die ihr Wissen über die Geschossherstellung teilten.
Ähnlich der Bliden funktionierte „Treibende Werke“ oder „Notstalen“, schossen aber in horizontaler Richtung Balken oder große Pfeile ab, die insbesondere kernschussartig Löcher und Breschen in Mauern schlagen sollten. Auch eigneten sie sich bestens zum Abschuss von brennenden Pfeilen.
Sämtliche Geschütze mussten im Einsatz von mehreren Händen bedient werden, wozu einige Leute gebraucht wurden. Die Stadt beorderte sie aus dem „Dregeramt“, dem Amt der Träger, und beschäftigte sie mit Transport, Aufstellen und Bedienen der Maschinen. Für die Geschütze existierten in der Breiten Straße ein Aufbewahrungshaus, das 1328 erstmals unter der Bezeichnung „balistarium“ erwähnt wurde. In Greifswald hieß das Gebäude dagegen Blidenhaus, benannt nach der Geschossart.
Mit Erfindung des Schießpulvers und das Aufkommen des Feuergeschützes im beginnenden 15. Jahrhundert entstand ein neuer Berufsstand. Man nannte die neuen Handwerker „bussenschutten“, „bussenmester“, oder die „bussenghetere unde werkmestere“. „Bussen“ stand im mittelniederdeutschen Sprachgebrauch sowohl für Geschütz, Kanone als auch für Schießrohr, Handfeuerwaffe usw. Die Bussenmacher der Stadt waren zugleich gelernte Handwerker und Bediener der Geschütze, also Artilleristen. Sie bezogen einen festen Jahressold und empfingen Sommer- und Winterkleidung.
Die Einführung der Pulverwaffen führte zu einem gewaltigen Umschwung in der Entwicklung des städtischen Geschützwesens. Die ersten Pulverwaffen sind für Aachen 1346, Frankfurt 1348, Naumburg 1349, Regensburg vor 1350, Bremen 1358, Lübeck um 1360, Dänemark 1372 und im Deutschen Ordensstaat 1374 bezeugt. Für Rostock ist im Jahr 1362 zum ersten Mal die Verwendung des Pulvergeschützes belegt. Von 1380 an häufen sich anhand der Kämmereirechnungen die Ausgaben für Feuergeschütze. Die ersten größeren Steinbussen werden in den Rostocker Geschützbestand aufgenommen. Um diese Zeit wurde nur ein einziges Feuergeschütz von außerhalb erworben, alle anderen wurden von den Bussenmeistern der Stadt selbst hergestellt, was wiederum vom Rat so festgelegt wurde. Das hatte sicher nicht nur den Grund die Auftragslage der heimischen Bussenmeister zu unterstützen, sondern die Rostocker Meisterschaft war entscheidend.
Der Rat ließ eine Pulvermühle und eine besondere Pulverkammer anschaffen und unterhalten, um den hohen, ständig anwachsenden Verbrauch an „Bussenkrut“ (Zündpulver) in Ledersäcken und Fässern zu decken und sich damit zu bevorraten. Der städtische Salpetersieder wurde durch Amtseid zur Geheimhaltung der Schwarzpulverrezeptur bestehend aus Salpeter, Schwefel und Kohle verpflichtet. Mitunter hingen davon Sieg oder Niederlage eines Kampfes ab.
Ein großer Fortschritt gelang, als man den Metallguss erlernte, insbesondere den Bronzeguss, für die Geschützherstellung zu nutzen. Waren die Geschütze vorher aus Eisenstäben zusammengeschmiedet, wurde nun aus einem Guss geschossen.
Im Verlauf des 15. Jahrhunderts wurden in den Hansestädten laufend neue und bessere Geschütztypen entwickelt: Handbüchsen, Hinterlader, Schlangen, Geschütze mit Lafetten. In den Rostocker Rechnungen treten Hagelschote und Schrappnellgeschosse auf.
Aber auch mit der Anwendung der Geschütze vollzog sich ein Wandel, sie kamen später nicht nur zur militärischen Verteidigung zum Einsatz, sondern man nutzte die enorme Geräuschkulisse, um auf ein besonderes Ereignis aufmerksam zu machen. Es scheint die Kirchenglocken haben nicht mehr ausgereicht um Feierlichkeiten anzukünden. Als z. B. Herzog Karl I. von Mecklenburg August 1605 in Rostock eintraf, um die Erbhuldigung zu empfangen, wurden „etliche grobe stuck geschutze abgelassen“.
Autorin: Hannelore Kuna