Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Klutenstreicher

Klutenstreicher


 Klutenstreicher waren Bauhandwerker des 18. und 19. Jahrhunderts, die für Lehmbauten arbeiteten. Obwohl in den norddeutschen Städten der massive und mehrgeschossige Backsteinbau vorherrschte, war der Holzbau nicht gänzlich verschwunden. Mit Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr die Lehmbauweise wieder eine Renaissance, ein wichtiger Vorzug lag in wirtschaftlichen Überlegungen begründet. Durch Vermauerung von „Luftziegeln“ bzw. „Kluten“ konnte der Bauherr unter dem üblichen Baupreis bleiben. Ungebrannte Ziegeln waren billiger zu erwerben, denn zu der Fertigung brauchte es weder teures Brennmaterial noch Brennöfen und infolgedessen keine weiteren Arbeits- und Hilfskräfte.
Bereits 1736 hatte der Leipziger Architekt Richter wieder den Lehmbau propagiert, allerdings noch in einer anonymen Schrift. Nach 1790 gab der Franzose Cointeraux, weitere Anstöße, indem er den Stampflehmbau in der Gegend von Lyon beschrieb. Danach sollte es möglich sein, auch technisch repräsentative Projekte mit Gewölben, Kuppeln und mehrgeschossigen Wohngebäuden mit prächtig gestalteten Fassaden in verschiedenen Lehmbautechniken aufzuführen.

 Der preußische Geheime Baurat David Gilly in Berlin und Begründer der Berliner Bauakademie, setzte sich für die neue Bau-Technik nachhaltig ein. Seine Darstellung im Handbuch der Landbaukunst (1797) löste eine kontroverse Diskussion aus und beeinflusste für Jahrzehnte die Entwicklung des Lehmbaus. Mit dieser Wiederbelebung waren auch Lehmbauspezialisten gefragte Bauleute, die mit natürlichen heimischen Baumaterialien umzugehen verstanden. 
 In Rostock bildete sich das Handwerk der Klutenstreicher heraus. Nach 1800 entstanden etliche Wohnbauten mit Luftziegeln, um den ansteigenden Wohnungsmangel, der durch den Zuzug aus dem Umland entstanden war, zu mildern. Der Wohnungsbestand Rostocks Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich steuertechnisch aus Vollhäusern, Buden und Kellern zusammen. 1817 verzeichnete die Seestadt 846 Vollhäuser, 1029 Buden und 126 Wohnkeller. Die wertvollsten privaten Gebäude der Stadt waren die Vollhäuser, mehrstöckige mittelalterliche Giebelhäuser und neuere Querhäuser in bestem Backstein gebaut.

 Bei den Buden, den einfachen Wohnunterkünften, nahm man erhebliche Abstriche hin und schließlich wollte der Rat die Kellerwohnungen wegen der Gesundheitsschädigung für die Bürger ganz abschaffen. Trotzdem entspricht das damalige Wort Bude nicht unserer heutigen Vorstellung von notdürftiger Behausung usw. Solche Buden waren in der Regel schmale einstöckige Gebäude, maximal erweitert mit dem Ausbau eines Dachzimmers, zumeist mit gebrannten Ziegelsteinen oder in Fachwerk mit Ziegeln erbaut. Hier entstand aufgrund der Wohnungsnachfrage die Marktlücke für den Lehmbau.

 Skeptische Stimmen wurden indes laut und bemängelten die Qualität der Kluten im Vergleich zum festen Backstein. Hauptsächlich ging es um die Haltbarkeit der Luftsteine auf lange Sicht hinweg und was noch viel problematischer schien, um die Beständigkeit bei extremen Witterungseinflüssen. Doch im geschäftigen Rostock jener Jahre galt ein Sprichwort: „Wer baut, der hat nicht mehr viel vom Leben“; denn es wurde schnell gebaut und das Haus sofort bezogen, das Gemäuer konnte nicht vollständig austrocknen, sodass der Bau früher oder später vom gesundheitsgefährdenden Schwamm befallen war.
 Das natürliche Material der Klutenstreicher war tonhaltige Erde (Lehm), die sie in Ziegelform oder Patzen mit Zusatz von Getreidestroh, Flachs oder Hanfstreben weiter verarbeiteten. Weil das Baumaterial eben nicht in den Brand kam, wurde es unter der Bezeichnung Luftziegel oder ägyptische Ziegel bekannt und gehandelt.

 Jedoch ließ sich der Lehm nicht sofort verwenden. Im Sommer und Herbst wurde das Rohmaterial ausgegraben, auf der Betriebsstätte in ein bis zwei Schichten über der Erde gelagert und über die Winterzeit dem Frost ausgesetzt. Der Wechsel von Frost und Tauwetter sollte die Erdbrocken auflockern. Ab Frühjahr erfolgte das Einsumpfen des Lehms in Bassins.
 Die weitere Anfertigung der Luftsteine war mitunter ein kleines Geheimnis. Einige Meister gaben dem Lehm feinkörnigen, scharfen Sand oder grobkörnigen Kies hinzu. Auf die richtige Mischung kam es dann an, zu viel Sand konnte das Produkt brüchig machen. Gleiches galt für die pflanzlichen Zusätze.

 Das geschmeidige Rohmaterial stampfte der Klutenstreicher mit großer Kraftaufwendung in rechteckige Holzformen, sodass die entsprechende Ziegelform mit hoher Materialdichte, die die spätere Festigkeit des Steins garantierte, entstand. Überschüssiger Lehm wurde abgestrichen. Die Form wurde nach vorläufiger Abtrocknung abgezogen und der Stein zur Trocknung gegeben. Ein Klutenstreicher schaffte etwa 800 bis 1000 Stück Luftsteine pro Tag.

 Die Maße der Luftsteine lagen allgemein erheblich über denen der gebrannten Ziegelsteine. Die Steine mussten dann volle zwei Jahre in einer offenen Ziegelscheune oder unter einer anderen Überdachung lagern, um vollkommen auszutrocknen. Ein Luftstein von guter Qualität zeigte im Innern die gleiche Farbe und Tönung wie äußerlich.
 Bis etwa 1850/60 war der Lehmbau ein viel diskutiertes Thema unter Spezialisten. Baufachleute und Architekten setzten sich vehement für den Lehmbau ein. In den Nachrichtenblättern der Gewerbevereine wurden die Vorteile des Lehmbaus befördert. Noch im Jahr 1852 arbeiteten im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin insgesamt 10 Klutenstreicher, davon in der Seestadt Rostock 4 Meisterbetriebe, danach wurden die Klutenstreicher zum seltenen Handwerker. Die Material-Herrschaft im Bau übernahmen wieder die traditionell gebrannten Ziegel.

 Im Verbund mit Portlandzement, Stahl und Glas begann eine neue Ära des Bauens. 1899 arbeiteten in Deutschland 11.000 Ziegeleien mit 218.000 Beschäftigten, die Zahl der Arbeitsplätze wurde nur noch von den Bergwerksbetrieben übertroffen.
Nach 1945 wurde Lehm aus Kostengründen vereinzelt erneut als Baustoff eingesetzt, danach jedoch von 1950 bis 1980 überhaupt nicht mehr verwendet.
 In Ostdeutschland wollte die SMAD mit Befehl Nr. 209 vom 9. September 1947 37.000 kleinbäuerische Wirtschaftsstellen im Rahmen der Bodenreform bis Ende 1948 errichten, wozu auch die Nutzung von Naturbauweisen verordnet worden war. Bis Anfang Dezember 1948 wurden in Naturbauweisen etwa 1.200 Lehm-, 5.100 Bruchstein- und 410 Holzbauten, 1050 Holzschindel- und 50 Lehmschindeldächer erbaut.

 In Cottbus entstand eine Lehr- und Versuchsbaustelle für Naturbauweisen mit Außenstelle Brieselang, in Werneuchen eine Lehr- und Beratungsstelle und im Kreis Prenzlau eine Musterbaustelle für Lehmbauweise. Ende 1949 berichtete Sachsen-Anhalt über ca. 2.000, Thüringen über 1.500 (inklusive Ställe und Scheunen), Mecklenburg über 5.000 und Brandenburg über 1.000 Lehmgebäude. Insgesamt wurden in der damaligen sowjetischen Besatzungszone rund 10.000 Lehmbauten errichtet.
Seit etwa 1980 gilt dem Lehmbau aufgrund eines stärkeren ökologischen Bewusstseins ein neues Interesse.


Autorin: Hannelore Kuna

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