Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Knochenschnitzer

Knochenschnitzer, Paternostermacher, Spielzeugschnitzer und Würfelmacher

 

 Dem Handwerk der Knochenschnitzer begegnet man in alten Akten und Urkunden recht selten, meist werden sie in Gemeinschaft mit ähnlich gearteten Berufen erwähnt. Danach gab es im mittelalterlichen Rostock Dreher (tornatoros), die außer Holz und Metall auch Knochen bearbeiteten und die Leuchtenmacher (lucernarii um 1269), die Ständer aus Horn für die Wachskerzen anfertigten. Die Rostocker Dreher stellten im 15. Jahrhundert zur Stadtverteidigung 3 Bewaffnete. Insgesamt fehlen für Mecklenburg und Rostock genauere schriftliche Angaben zu Knochenschnitzern und ihren Werkstätten. 1735 ist noch ein Mecklenburger nachweisbar, der sich in Danzig als Knochendreher niederließ und dort das Bürgerrecht erwarb. Mitte 19. Jahrhundert ist zu erfahren, dass es in Rostock 11 Drechslermeister gab, davon waren 2 Kammmachermeister und 4 Knopfmachermeister, die aber lange nicht mehr mit Knochenmaterial arbeiteten.

 Über die Knochenschnitzerei als Stadthandwerk gibt es jedoch zahlreich archäologische Funde in Form von Rohlingen, Halbfabrikaten, Fertigprodukten, die insbesondere in der jüngsten Stadtkernarchäologie zum Vorschein kamen. Wo alte Häuser abgebrochen werden, um neue zu erbauen, greift das Denkmalschutzgesetz.

 Danach muss der zu bebauende Grund und Boden nach historischen Bodendenkmälern untersucht werden, diese gilt es zu bergen und zu dokumentieren. Jeder Bauherr unterliegt den Forderungen des Denkmalschutzgesetzes. Als besonders ergiebige Fundstellen erwiesen sich alte Abortschachte und Kloaken; die Leute entsorgten alles was nicht mehr brauchbar oder nutzlos schien in Füllgruben oder stillgelegten Wasserbrunnen. Manchem damaligen Zeitgenossen war es mitunter auch das perfekte Versteck während ruheloser Kriegszeiten.

 Die Knochenschnitzer benutzten keine speziellen, schwer zu erlangenden und teuren Materialien für ihre Arbeit, wie etwa Elfenbein, das eigens dafür importiert werden musste, sondern sie griffen auf leicht verfügbare und in ausreichender Menge vorhandene Materialien zurück: die Knochen der Schlachttiere, einschließlich Hörner und Geweih von Wildtieren (Renntier, Urochsen, Hirsch). Aus einer tief reichenden fäkalischen Verfüllung fand man in Rostocker Brunnen die bearbeitete Knochenplatte eines Störs.

 Es war schon etwas Außergewöhnliches wenn man sich hier im Norden z. B. der Zähne des Seelöwen oder des Walrosses bediente, denn in den anfänglichen Zeiten war dieses Material viel zu kostbar und außerdem für diese Zwecke nur bedingt nutzbar.

 Den Knochenschnitzern stand allenthalben heimisches Schlachtmaterial wesentlich preiswerter zur Verfügung, meist diente es nur zur Herstellung von Knochenmehl, Knochenleim und Seife. Die Knochenschnitzer standen sich daher gut mit Kütlern und Knochenhauern, die ihnen Material lieferten. Auch der Jäger war zu bestimmten Zeiten ein guter Geschäftspartner. Im Hochmittelalter standen bestimmte Hörner und Geweihe von Wild in hohem Ansehen bei den Ritter und Adligen. Manches kostbare Trinkhorn wurde für die edlen Herren aus tierischem Horn angefertigt, womöglich wurde die Jagdtrophäe versilbert oder vergoldet, um sie dann bei einem festlichen Gelage zu leeren. Nicht nur das, ein wohlklingendes Blasinstrument aus edelsten Hölzern konnte ebenso gut mit Zwischenstücken aus tierischem Material versehen sein.

 Für frühere Schnitzereien wurden am häufigsten Rinderknochen verwendet, da sie immer zur Verfügung standen. Das hing auch damit zusammen, dass Rinder regelmäßig in großer Anzahl geschlachtet wurden, da sie von den Leuten zu Nahrungszwecken gehalten wurden. Rinderknochen sind relativ groß, die Mittelhand- und Mittelfußknochen sind von sehr geradem Wuchs und eigneten sich daher für größere Schnitzereien. Andere Knochen vom Pferd, Schaf, Schwein oder der Ziege, von Geweihträgern und vom Geflügel verwendete man dagegen seltener.

 Knochenschnitzerei war so zusagen ein Grundhandwerk und bediente sich einer breiten Produktpalette. In den Werkstätten verfertigte man vielfältige kulturelle Gebrauchsgegenstände: Kämme, Brillen, Gürtelschnallen, Würfel, Nadeln, Flöten, kleine Kunstgegenstände (Amulette, Figuren), Knöpfe, Laternen, Meißel, Beschlagplättchen, Messergriffe, Schlittenkufen, Stößel, Stempel, Perlen, Pfeifen oder Spielzeug. Nach den angefertigten Produkten bildeten sich Spezialisten mit eigenen Berufsbezeichnungen heraus.

 Vielleicht am bekanntesten sind die Paternostermacher des Mittelalters. Der mittelalterliche Mensch war zutiefst religiös und der Bedarf an religiösen Attributen katholischer Frömmigkeit stand sehr hoch im Alltag. Kostbare Rosenkränze aus Elfenbein, Perlmut, Korallen, Bernstein konnten sich nur die hohe Priesterschaft, reicher Adel oder das gehobene Bürgertum leisten. Die einfache Stadtbevölkerung Rostocks betete wohl auf Rosenkränzen aus Knochen und Draht, dagegen preiswert und erschwinglich für jedermann war die Gebetsschnur, die meist am Ort hergestellt wurde. Die Arbeit des Paternostermachers war filigran und setzte hohe Fingerfertigkeiten voraus, um aus dem harten Knochen die kleinen Kügelchen mit Öffnung für die Kette zu schnitzen und zu drehen.

 Für Wismar sind beispielsweise 1475 und 1510 Paternostermacher urkundlich nachweisbar. Ein eigenes Amt haben Sie anscheinend nicht gebildet. Paternostermacherzünfte entstanden hier im Norden in Lübeck, Danzig, Elbing und Stolp, aber besonders in Köln, Magdeburg, Straßburg und in bedeutenden süddeutschen Städten.

 Genauso beliebt und begehrt waren kleinen Marienfiguren. Sie galten ebenso als Merkmal der Frömmigkeit und fast jeder besaß sie. Sie konnten am Körper getragen werden oder wurden minimal größer, in einem Reliquienkästchen im Haus sichtbar aufgestellt. Bei Grabungen Kröpeliner Straße 33-36/Kleiner Katthagen wurde eine solche aus Horn geschnitzte Marienstatuette von 11,1 cm Höhe entdeckt.

 Eine andere Spezialisierung der Knochenschnitzer war die Herstellung von Kämmen, weshalb er dann auch Kammmacher hieß. Das Herstellungsprinzip der Knochenkämme war immer mit gleichen Handgriffen verbunden und doch gab es verschiedene Methoden. Einmal wurden mehrere gleichartig zurechtgeschnittene, abgefeilte Knochenstücke in ebensolchen Abständen mit Hilfe von kupfernen Nieten oder mithilfe einer Schiene zusammengehalten. Bei der anderen Herstellungsart wurde ein längeres Knochenstück schmal zugeschnitten, um dann die einzelnen Kammzinken fein herauszuschnitzen. Beide Fertigungsmethoden erforderten einen geübten Grad an Kraft und Gewandtheit im Umgang mit den Materialien, die oftmals auch verziert wurden.

 An beliebtesten war der Knochenschnitzer jedoch bei den Kindern, wenn er auf dem Markt Spielzeug feilbot. In einem etwa um 1318 erbauten Kloakenschacht sind bei Grabungen nach 2000 in einer Baugrube der Rostocker Weinstraße 25 geschnitzte Rinderphalangen (Zehenknochen) mit Kerben, Augen, Löchern und teilweise mit Bleifüllungen geborgen worden. Sie wurden als mittelalterliches Kinderspielzeug erkannt und die Forschungen ergaben wichtige Hinweise auf das damalige Spielverhalten. Die Bleifüllungen sollen die Standfestigkeit der Figuren, die Schnittkerben das Zählen im Spiel ermöglichen. Vielleicht wurden einige Knochen in einer Reihe aufgestellt und versucht mit dem letzten Knochen diese umzuwerfen.

 Archäologen und Historiker verweisen auf Stundenbücher und Breviarien zwischen 1480 und 1530, die ähnliche Szenen spielender Kinder zeigen. Die bekannteste Illustration (datiert 1560) dazu stammt vom Maler Pieter Brueghel dem Älteren. 

 Eine weitere Spezialisierung des Knochenschnitzers war der Würfelmacher oder Würfler. Er verfertigte für die erwachsenen Mannspersonen das beliebte Würfelspiel bei dem es in den Wirtshäusern oft laut und wild herging. Selbstverständlich spielte man es auch bei jeglichen Gelegenheiten und in allen Ständen, denn dort wo es Glücksspiele gab, handelte es sich auch immer um größere Gewinne. Bei der Würfelherstellung galt es besonders exakt zu arbeiten: der Würfel hatte aus einem ganzen Materialstück zu sein, alle Seiten eines Würfels mussten rechtwinklig, glatt und eben sein, die sogenannten Augen sollten daran erkennbar und richtig angeordnet sein, ein Satz Würfel sollte stets gleich groß sein: damit ja niemand betrügen konnte. Das jedoch blieb oftmals ein frommer Wunsch, so mancher Würfel wurde schlichtweg gezinkt, dazu gab es vielerlei Methoden und wer allzu gut gläubig war, merkte es nur erst wenn sein Geldbeutel leer war. Das Würfelspiel als Unterhaltungs- und Glücksspiel hat eine lange Tradition und wurde seither wieder und wieder verboten, mindest aber bestraft. Die Sünder erhielten z. B. Geldstrafen oder sie wurden aus den Ortschaften verwiesen und mussten sich auf Abstand halten aber wehe dem, wenn ein Würfelmacher selbst dahinter steckte! 


Autorin: Hannelore Kuna.

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