Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Kopisten fertigten von originalen Schriftstücken Duplikate an oder der Zweit- und Drittschriften usw. Insbesondere beim Studium historischer Aufzeichnungen kann man ihre Spuren entdecken. An manchem Aktenstück findet sich der Vermerk: Abschrift, Kopie oder Duplikat.
Handschriftliche Vervielfältigungen waren ursprünglich die geläufige Art und Weise, um den Schriftverkehr abzuwickeln. Also brauchte man immer wieder Leute, wie ehemals die mittelalterlichen Mönche, die gewissenhaft Buchstabe für Buchstabe vom Original abschrieben und selbst das Siegel mit der Feder abbildeten. Kopisten fanden zunächst hauptsächlich Schreibarbeit in den herzoglichen Kanzleien, in den kirchlichen Behörden und in der Stadt beim Rat in der Amtsstube, Gerichtsstube usw.
Der Kopist war entweder bei der Behörde dauerhaft angestellt oder er erhielt pro Auftrag Kopialgebühren (nach einem halblateinischen Ausdruck) also Schreibgebühren erstattet. Das Abschreiben wurde ihm dann bogenweise bezahlt. Aber trotz angestrengtem Fleiß erhielten sie nur wenig Geld, selbst bei einer mecklenburgischen Staatsanstellung, oft weniger als ein herrschaftlicher Diener beim Landadel. Ein Zeitgenosse des 18. Jahrhunderts berichtete doch recht verdrossen über die äußerliche Erscheinung der Kopisten: „Sie gehen gekleidet, wie der Mond im abnehmenden Licht, vor Hunger bis auf die Beine abgenagt, spuken die elenden Skelette herum in Gestalt vertrockneter ägyptischer Mumien …“. Nun ja.
Für die Schreibarbeit der Stadt hatte der Rostocker Rat stets Ratsschreiber eingestellt. Sie erledigten sämtliche Aktenvorgänge, schrieben die amtlichen Briefe, Ratsprotokolle, Steuerregister, Einladungen, Mahnungen etc. des Hohen Rats.
Gleichfalls füllten sie die wichtigen Stadtbücher mit Aufzeichnungen der Vorgänge, wie die Rechnungsbücher, Grundregister, Schuldbücher etc. Kopisten wurden hinzugezogen, wenn es zusätzliche Schreibarbeiten abzuarbeiten galt.
Kopisten arbeiteten auch am Rostocker Theater. Für die Inszenierung eines neuen Stücks brauchten die Schauspieler ihre Texte und für die Opernaufführung das Orchester und die Sänger die Noten. Und Einladungen, sprich die Theaterzettel, wurden früher auf diesem Wege geschrieben.
Tatsächlich gab es in dieser Zeit in Rostock eine „Schreiberei“. Das Gebäude befand sich bei der St. Marienkirche gegenüber dem Marien-Kirchhof und der Münze. Es war ursprünglich ein Privathaus und gehörte dem aus Parchim gebürtigen Stadtschreiber Konrad Römer, 1404 verkauften dessen Erben das Haus der Stadt. Hier gingen dann die Kopisten des Mittelalters ein und aus. In alten Schriften wurde das Gebäude als „Grapheum“ bekannt, so in Peter Lindenbergs (1562-1596) Rostocker Chronik (Chronicon Rostochiense).
Auch die Bürger waren mit diesem Haus durchaus vertraut. Wer Bürger der Stadt werden wollte, musste auf der Schreiberei vor einem Notar den Bürgereid leisten und dies mit eigener Unterschrift bezeugen. Mitunter wurden hier auch Ratsversammlungen abgehalten. In späteren Zeiten hielten das Stadtgericht und das Gewett (Gewerbegericht) ihre regelmäßigen Sitzungen ab.
Sieht man einmal von den äußerlichen Beschreibungen der Kopisten ab, so zeigte sich auch ein erstrebenswerter Anspruch in ihrer Arbeit. Sie verfügten oft über eine ansprechende Bildung in ihrer Zeit oder konnten einfach schönschreiben, im wahrsten Sinne des Wortes. Tatsächlich sollte ihre individuelle Handschrift lesbar sein, mit wohl ausgewogenen Schriftzügen und am Ende ein schönes Schriftbild ergeben; was sicherlich nicht immer der Fall war, wie es alte Akten heute noch aufzeigen.
Und dennoch gibt es auch wirklich schöne Abschriften mit schwungvollen Buchstaben am Anfang und Ende. Grammatikalische Kürzel z. B. oder Satzzeichen, Anrede- und Abschluss einer bestimmten historischen Zeit machen ein altes Schriftstück heute erst lesbar. Die Kopisten waren nicht nur sachkundig, sondern bisweilen auch kleine Schreibkünstler. Dafür war auch das Schreibwerkzeug wichtig, das hauptsächlich in Federkiel (auch Federpose), Tinte und Löschblatt bestand.
Schreibfedern von verschiedenen Vögeln wurden genutzt. Fast überall und zu allen Zeiten schrieb man mit dem Gänsekiel, das waren Schwungfedern von den Flügeln. Dafür mussten die Federn aufbereitet werden, wobei die Härtung bei einer Hitze von ca. 70-80 Grad der wichtigste Arbeitsschritt war. Die besten Schreibfedern, das wusste man, „lieferten“ die Gänse zur Mauserzeit von Mai bis Juni. In jedem Gänseflügel waren aber nur die fünf äußersten Federn zum Schreiben brauchbar. Glaskiele, weiße Federkiele, die durch besondere Behandlungen durchsichtig gemacht wurden, erfreuten sich großer Beliebtheit.
Schwanen-, Straußen- und Truthahnfedern waren wegen ihrer Härte beim Notenschreiben sowie zum Schreiben auf Pergament und Bucheinbänden begehrt. Raben- und Seemövenfedern eigneten sich gleichermaßen zu feinen Schriftzügen und Zeichnungen, und Seemöven gab es in Rostock und Warnemünde reichlich.
Gewöhnliche Tinte war schwarz und wurde aus einem Galläpfelaufguss und Eisenvitriol angerührt. Ein geschickter Schreiber, Schulmann oder Kopist konnte sie durchaus auch selbst anfertigen. Natürlich gab es auch farbige Tinten zu erwerben. Blaue Tinten fertigte man aus den Farbpigmenten Sächsisch Blau mit Alaun oder aus dem Pflanzenfarbstoff Indigo mit Alaun an. Zu gelber Tinte brauchte man Safranpulver.
Anfang des 19. Jahrhunderts stand den Kopisten erstmals die Metallfeder zur Verfügung. Das neue Schreibgerät wurde eine technische Revolution für Schnellschreiber, Kopisten, Ärzte und Reisende, unabhängig davon, dass noch immer ein Tintenfass benutzt wurde. Das Schreibgerät bestand aus einer Stahlfeder und einer runden Füllkammer aus Glas, Holz, Metall oder Horn für die Tinte. Doch anfängliche Schwierigkeiten beispielsweise mit dem Nachlaufen der Tinte zur Feder, überhaupt die ganze Tinten- Kleckserei, brachte wohl die weitere Entwicklung zum modernen Füll-Federhalter voran.
1872 verzeichnete das Rostocker Adressbuch 26 Kopisten in der Stadt. Ihre Anzahl war im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten eher größer als geringer geworden. Durch die zunehmenden Aufgaben der staatlichen Verwaltung, aber auch durch die wachsende Industrialisierung waren die Vervielfältigungsaufgaben im Schriftverkehr gestiegen. Moderne Reproduktionsverfahren wie die Fotografie und der Steindruck waren vorläufig nur bedingt und nicht für alle Aufgaben und Bedürfnisse praktikabel.
Autorin: Hannelore Kuna