Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Leimsieder

Leimsieder
 
 

Auf den Leim gegangen; das ist eine alt bekannte Redensart, die immer auch ein Körnchen Wahrheit in sich birgt. Tatsächlich fingen früher die Vogelfänger mithilfe von mit Leim beschmierten Hölzern ihre begehrte Beute.
 Leim ist ein altbekanntes Handwerksmaterial mit einer langen Tradition. Gesichert ist, dass das Wort Leim die älteste deutsche Bezeichnung für Klebstoff ist. Bereits die alten Ägypter wussten Leim aus Knochen herzustellen. Seit dem Mittelalter verwendete man auch in unseren Breitengraden Leim, um verschiedenste Materialien wie Papier, Pappe, Leder, Holz und später Textilien miteinander zu verbinden. Die Anwendungen für Leim waren so vielfältig wie es Handwerksgebiete gab, sei es in der Papier- und Bücheranfertigung oder in der künstlerischen Malerei für die Farbherstellung oder etwa im Geigenbau usw.

 Im Mittelalter wurde Leim hauptsächlich aus Tierhäuten, Quark (Kasein) und Mehl hergestellt. Vortrefflich eigneten sich die Tierhäute, weshalb die Gerber und Hutmacher mitunter zusätzlich zu ihrer Hauptarbeit, selbst Leim siedeten und damit den Erwerb erweiterten. In größeren Städten allerdings, wie in der Seestadt Rostock, reichte dann das Angebot nicht aus und es bildete sich das separate Handwerk der Leimsieder bzw. Leimkocher heraus. In Lübeck übernahm diese Arbeit seit langer Zeit die früheren Armbroster (Armbrustmacher), die praktisch durch die Entwicklung der modernen Waffentechnik brotlos geworden waren.
Verschiedene Handwerker und Berufskollegen in Rostock waren auf den Gebrauch des klebenden Materials angewiesen. Der Schuster nagelte und klebte den Hacken an die Sohle. Die Papiermacher fertigten damit reißfeste Papiersorten. Der Buchbinder brauchte guten und haltbaren Leim, um mit einem festen Einband und stabilen Buchrücken solide das Papier zusammenzuhalten. Keine Wasserfarben oder Kreiden hielten ohne Zusatz von Leim dauerhaft auf dem Papier oder blieben an der Wand haften.
1800 hatte Rostock gewerbsmäßig 175 Schuster, 43 Tischler und 7 Hauszimmermeister, was vermutlich ausreichte, dass vier Leimsieder ihrer Arbeit nachgehen konnten und sich damit den Lebensunterhalt verdienten.

 Die Leimsieder arbeiteten wie die Gerber, Lichtzieher, Seifensieder oder der Abdecker unter äußerst widrigen Arbeitsbedingungen. Der üble Geruch durch langes Kochen und Dämpfen von tierischen Resten verbreitete sich in der Umgebung und schreckte die Bürger ab. Der Rat ließ die Errichtung von Leimsiedereien nur am Stadtrand zu, sodass die Meister eine Stelle am Gerberbruch zugewiesen bekamen.
  Die Rostocker Leimsieder fertigten über die Jahrhunderte den Leim hauptsächlich aus Tierfellen. Sie bezogen die rohen Tierhäute von den Gerbern und Hutmachern, dabei erhielten sie keine vollständige Tierhaut, sondern Fett- und Unterhaut, meist auch nur die anfallenden Reste und Abfälle, mitunter auch die Reste von gegerbtem Leder. Selten konnte eine schadhafte ganze Haut für wenig Geld erworben werden. So waren die Weißgerber ihre regelmäßigen Zulieferer, denn vom Rotgerber durfte das fertige Leder nicht sein, der gerbte sein Leder mit Alaun und das verdarb den Leim gänzlich.
Die Zubereitung der Tierhautabfälle und -reste war eine üble Arbeit, alles musste gründlich gereinigt werden und es durften keine Tierhaare vorhanden sein. Eine sorgfältige Vorbereitung war unerlässlich, die Leimsieder erwiesen sich als grobe Arbeitsmänner.

 Im ersten Arbeitsgang ließ man das Rohmaterial einige Zeit lang im Kalkwasser weichen. Danach wurde es kräftig gespült und dann wurde die Masse oft tagelang im Kupferkessel gekocht, gesiedet, bis Kollagene mit der gewünschten Klebkraft entstanden. Die ausgekochte Masse trocknete man, schnitt sie im festen Zustand zu Platten zu und gab sie so in den Verkauf. Die Ausbeute an diesem Haut- und Lederleim konnte bis zu 60 Prozent der ursprünglichen Masse betragen.

 Vom Verbraucher wurden die Leimplatten eingeweicht und über Feuer erhitzt, damit ein flüssiger klebriger Brei zum Leimen entstand. Die Leimsieder hielten sich bei der Arbeit streng an überlieferte Regeln: 1. Der Leim von alten Tieren ist der zäheste und 2. Leimsieden bei Frosteinfall und Gewitter schädigt den Kleber. 
An der mecklenburgischen Küste und am Warnowfluss wurde außerdem ein heimischer Hautleim gefertigt, das war ein spezieller Leim vom Aal. Die Leimkocher ließen die Aalhäute lange Zeit im Kessel sieden, bis ein feiner Leim entstand, den insbesondere die Vergolder für ihre filigranen Schmuckarbeiten brauchten. Dieser Leim wurde für den Auftrag von Goldgründen (colle à doreur) benutzt, er wurde dafür erwärmt und mit geschlagenem Eiweiß vermischt. Nach dem Leimauftrag wurde dann das dünne Blattgold aufgelegt. Dieser Aal-Leim war nicht mit dem groben Leim vergleichbar, denn er war für den speziellen Gebrauch vorgesehen. Er war von besonders weicher Konsistenz und er besaß nur eine geringe Klebfähigkeit, er war gerade richtig für feinere Handwerksarbeiten wie für den Restaurator oder Uhrmacher, neben dem Vergolder. 
Dagegen stellte der Tischler andere qualitative Merkmale an einen Leim, denn die Verleimungen der Möbel mussten im Alltagsgebrauch starke Kräfte aushalten können. Dafür hatte sich der Leim aus Knochen im Laufe der Zeit sehr gut bewährt. Aber guten festen Knochenleim verstand man erst nach 1800 anzufertigen, mit der stetigen Verbesserung der Rezeptur wurde er im 19. Jahrhundert schnell zum qualitativ bevorzugten Leim unter dem angebotenen Sortiment.

 Auch die Anfertigung von Knochenleim war sehr langwierig und nicht weniger übel in der Vorbereitung und Durchführung. Zuerst mussten die Knochenteile von den Knorpelteilen (wie Gelenke usw.) getrennt werden, denn der Knochen (durch Glutin) ergab ein ausgezeichnetes Klebeverhalten und die Knorpel (Chondrin) nur eine sehr geringe Klebkraft. Danach wurden die Knochen entfettet, zerkleinert und in Wasser ausgekocht. Durch langes Kochen lösten sich die Kollagene im Knochen und verwandelten sich unter Wasseraufnahme in Glutin, das nach dem Erkalten eine gallertartige Masse (den sogenannten Rohleim) bildete. Denn nur das Glutin besitzt die Eigenschaft, nach dem Erkalten eine gallertartige Masse (Rohleim) zu bilden. Der Rohleim wurde weiter eingedampft, um überflüssiges Wasser zu entfernen.

 Das Produkt wie alle anderen traditionellen Kleber ein Warmleim, d. h. auch er musste zur Verarbeitung erwärmt werden (höchsten bis 74 Grad) und wurde bis 1900 neben den Tischlern hauptsächlich von den Buchbindern und insbesondere den Geigenbauern (bis heute) verwendet.
 Der Knochenleim insgesamt besaß einen äußerst wichtigen und sehr praktischen Vorteil für die Tischlerei. Die verklebten Holzverbindungen ließen sich zu jeder Zeit durch entsprechende Erwärmung wieder lösen, das hieß, eine misslungene Arbeit konnte gelöst und wiederholt werden. Als Nachteil hing dem Knochenleim die sehr kurze Verarbeitungszeit an, sodass bei den Tischlergesellen jeder Handgriff sitzen musste, um schnell und zügig das Möbelstück zu leimen.

 Für die acht Rostocker Leimsieder der 1870 Ger Jahre (Fönings, Hoffmann, Kern, H., Kern, Z., Meincke, Pätzel, Reincke und Schwoncke, davon 7 im Gerberbruch und 1 in der Alt-Schmiedestraße) waren mit der zunehmenden Industrialisierung wirtschaftlich schlechte Zeiten gekommen. Mit der aufkommenden Möbelindustrie Ende des 19. Jahrhunderts musste ein neuer Leim mit längerer Verarbeitungszeit her, der mit der Entwicklung der chemisch-synthetischen Herstellung bald gefunden wurde.
 
Autorin: Hannelore Kuna

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