Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Leinenbekleidung liegt heute als Ökostoff voll im Trend der modernen Zeit. Auch die Textilindustrie hat sich flexibel darauf eingestellt, so ist die Auswahl z. B. bei Damen-Blusen und Herren-Hemden in der Qualität groß, es gibt sie von edel bis einfach, je nach dem was Mann oder Frau bereit ist auszugeben. Eins ist auf jeden Fall allen Produkten eigen: Leinen knittert! Das liegt wiederum am Naturmaterial und dagegen ist bekanntlich kein Kraut gewachsen.
Bereits frühzeitig war Leinenstoff aus dem Leben der Norddeutschen nicht wegzudenken. Leinen ist eine Naturtextilie aus der Flachspflanze, die vom heimischen Bauern angepflanzt und geerntet wurde, und meist wurde sie soweit bearbeitet, dass die Spinner aus den Flachsfasern das Leinengarn zogen und die Leinenweber den Stoff weben konnten.
Wohl überall war qualitativ unterschiedliches Leinen ein gebräuchlicher Kleidungs- und Futterstoff, für Unterwäsche, ein gutes Material für Tücher, Bettzeug, Tafeldecken, Servietten, für Stickereien, für Bucheinbände, Malerei, Kartendruck und Hochzeitsausstattung.
Auch verschiedene Handwerker waren auf Leinenmaterial angewiesen. Den Bäckern und Fleischern war schon im 16. Jahrhundert weiße leinene Berufsbekleidung vorgeschrieben; der Wachsbleicher benötigte für seine Tätigkeit eine Menge an grobem Tuch; Fuhrleute, Träger, Post und Schifffahrt benutzten grobe Sack- und Packleinwand und für Matrosenzeug verfertigte der Weber spezielle feste Matrosenleinwand.
Aus Leinwand wurde vor allem die Kleidung der einfachen mecklenburgischen Leute geschneidert, hauptsächlich auf dem Lande, aber auch für das niedere Bürgertum in den Städten. Die vornehmen Stände ließen feineres Linnen für den Hausstand außerhalb anfertigen.
Bereits im späten Mittelalter handelte ein Rostocker Kaufmann für die Kundschaft der höheren Stände insbesondere mit Kammertuch und Creas. Das Kammertuch war feines, aber nicht sehr dichtes Tuch, benannt nach der Stadt Kammerich (Cambray). Creas wiederum war eine starke Leinwand aus weißgebleichtem Garn. In der Neuzeit kamen neue Leinwandsorten in Mode, die meist nach den jeweiligen Herstellungsregionen und Orten (schlesische, Bielefelder, Warendorfer Leinwand) benannt wurden.
Aber selbst der in Mecklenburg und Rostock gefertigte einfache Leinenstoff war qualitativ verschieden. Leinwand konnte in der natürlichen Farbe des Flachs belassen sein, gebleicht (naturweiß), gefärbt oder gemustert, je nach dem Geschmack der Leute und ihrer Tradition.
Auf der südlichen Seite der Warnow, bei Lage, in Tessin und anderen Orten trugen im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die Männer Beinkleider und Arbeitsröcke (Kittel) aus ungefärbtem Leinen, in anderen Gegenden wie in den Ämtern Dargun und Stavenhagen musste der Leinenstoff sorgfältig gebleicht sein.
In den Gemeinden Biestow, Buchholz und in den Dörfern Sievershagen, Bargeshagen, Wilsen, Stöbelow, Groß und Klein Grenz bei Rostock, war die so genannte schwarze Tracht gebräuchlich. Die Männer trugen sehr weite, aber kurze Beinkleider von schwarzer und oft von feiner Leinwand. Da brauchte der Schneider schon reichlich Stoff, man rechnete etwa 5 Ellen Leinwand für ein Beinkleid; der große Schulze zu Biestow soll aber 9 Ellen gebraucht haben.
In Warnemünde trugen die Lotsen und Seeleute bei der Arbeit 3 Beinkleider über einander, eine leinene Unterhose (Unnerbrauk), eine andere von grünem Manchester (Spitzbüchs) darüber und eine sehr weite, leinene Oberhose (Brauk) drauf.
Die älteste erhaltene Amtsrolle der Rostocker Leinenweber stammt aus dem Jahr 1364. Die Meister und Gesellen nannten sich damals Leinwandschneider, vermutlich stand ihnen das Recht des Webens und des Zuschnitts zu. In der zweiten erhaltenen Rolle aus dem Jahr 1585 hießen sie Leinenweber, die Rolle nimmt auf das Jahr 1456 Bezug, ist aber in der Urform nicht mehr erhalten.
In der Rolle der Leinwandschneider von 1364 tritt im Rostocker Handwerk zum ersten Mal die Bezeichnung Geselle auf. Für die Leinenwebergesellen waren als Meisterstücke die Anfertigung von sechs Ellen verfeinerter Tafellaken und sechs Ellen schlichter Leinwand vorgeschrieben.
Nach der Leinenweberrolle von 1456 konnten auch Frauen das Handwerk erlernen und man gestattete ihnen den Zutritt als Meisterin. Wie für das Mittelalter üblich, zeigte die Leinenweberzunft zu Rostock soziales Engagement. Sie erhob alle 14 Tage von ihren Meistern, Meisterinnen, Gesellen und Gesellinnen eine bestimmte Abgabe, um arme und kranke Zunftgenossen versorgen zu können. Vermutlich verlieh man auch Geld an verarmte Meister, damit sie ihren Betrieb aufrechterhalten konnten.
Der Leinenweber lernte und wanderte 3 Jahre in der Lehr- und nach der Gesellenzeit. Sein Webstuhl war im Verhältnis zu den Wollenweberstühlen von einfacher Bauweise. Den Webstuhl bauten der Tischler und Blättersetzer (Blattmacher) gemeinsam, denn Webstühle für die hochwertige Damastweberei z. B. fertigten spezialisierte Zugstuhlbauer.
Für die Leinwand-Herstellung gab es in früheren Zeiten einige Besonderheiten, weil das Weben unter damaligen Bedingungen nicht einfach war. Das Weben erforderte einige Kraft und Geschicklichkeit. Eine einschlägige Leinwand entsteht, wenn der Weber nur einmal mit der Lade schlägt, die dichtere zweischlägige Leinwand, wenn zweimal angeschlagen wird. Feinste und dichteste Leinwand war von je her der Batist, er wurde aus feinen und langfaserigen Flachs sehr fein gewebt. Das war eine mühevolle und anstrengende Arbeit.
Die Leute waren sehr einfallsreich, sie ließen sich spezielle Methoden einfallen, um das Material in begehrter Qualität zu fertigen. Um das Reißen des Garns z. B. zu verhindern, webte man oft in kühlen Kellern oder „schlichtete“ als unbedingte Vorarbeit zum Weben die Fäden mit einem aus Mehl und Wasser gekochten Brei. Der Mecklenburger benutzte für die „Schlichte“ seine besondere Rezeptur. Man kannte eine Schlichte „ut Swienketüfffeln“ (Schweinekartoffeln) und mancherorts aus „Rüffelschellen“ (Kartoffelschalen). War die Schlichte am Garn angetrocknet, blieben die Kettfäden beim Weben hart und reißfest.
Neben den glatt gewebten Linnen wurden verschiedene in sich gemusterte Stoffe angefertigt. Dazu gehörten der feine Damast und der Zwillich, auch Drell oder Drillich genannt. Leinendamast mit weißen Blumen, Wappen, sakralen und anderen Figuren war eine Nachahmung des seidenen Damastes und ein Luxusartikel und wurde hauptsächlich für Tafeldecken, Altardecken und Servietten verfertigt.
Diese Art der Weberei erforderte aber einen besonders konstruierten Webstuhl. Die durch Ziehen erhöhten Kettenfäden machen die Figur, die liegende mit dem Einschlag den Grund. Die Einrichtung eines Damaststuhls durch den Meister dauerte oftmals 4-5 Wochen. Seine Werkstatt musste groß sein, denn beim Weben von großen Tafeltüchern, war es notwendig, dass zwei Ziehjungen die Figuren aus der Kette zogen mit schwerem Schnurenwerk. Weiterhin war noch ein Spuler am Werk, der das Aufspulen der Schussgarne besorgte.
Die Lehrlinge in der Damastweberei verrichteten zuerst (auf Probe) die Arbeit eines Ziehjungen am Stuhl, danach lernten sie 3 Jahren und gaben 40 Taler als Lehrgeld. Das Meisterstück bestand in einem Dutzend Servietten. Zu den wichtigsten Verbesserungen aller Musterweberei gehörte der in Frankreich nach 1800 erfundene Jacquard-Webstuhl. Dadurch wurde nicht nur die Ziehjungen überflüssig, sondern die Webearbeit erleichtert, mechanisiert und qualitativ feiner.
Der Webstuhl des Zwillichwebers war wegen der Schäfte (20-30) sehr lang. Der Zwillich oder Drell ist dem Damast sehr ähnlich. Die Figuren werden aber durch den Einschlag gebildet und sind auf beiden Seiten rechts. Der Drellich gehört im Unterschied zum Damast (Zieharbeit) zur Fußarbeit, weil die Muster durch die Tritte oder Fußschemel „eingetreten“ werden. Bekannte mecklenburgische Drellmuster waren der einfache Streifen und kompliziertere Ornamente wie Kreuz, Kreuzbalken, Doppelkreuz, Baum, Rose, Stern u. a. Figuren. Für die Drellmuster wurden von künstlerisch begabten Webermeistern Musterbücher geschrieben, die von den Handwerksmeistern kopiert oder auch in eigenen Variationen abgewandelt wurden und dann als eigene Vorlage dienten. Dabei konnte der Weber seiner künstlerischen Phantasie keinen freien Lauf lassen, sondern musste sich an die Bindungstechnik anpassen.
Anschließend wurden die fertiggewebten Leinenzeuge entschlichtet, gebeucht und gebleicht oder gefärbt, je nach Auftrag. Die arbeits- und zeitaufwendige Bleiche oder Färberei übernahmen die Bleicher und Färber von Rostock. Abschließend erhielt die Leinwand die Appretur durch Stärken, Mangeln und Glätten.
Um 1800 arbeiteten 34 Leinenwebermeister in Rostock, sie erfüllten die Kaufbedürfnisse der Bürger, mussten sich aber auch der Konkurrenz vom Lande zur Wehr setzen. Die Leinenweberei war schon immer und seit dem 18. Jahrhundert noch mehr ein Haushandwerk, denn viele Bauersfrauen verstanden es, an langen Winterabenden Leinengarn zu spinnen und einfache Stoffe für den Familienbedarf zu weben. Und gar manch gutes Stück wollte auf dem Markt verkauft werden, selbst gegen die gesetzlichen Regelungen.
Aus dieser Konkurrenzsituation von Stadt- und Dorfhandwerk entstand der Ruf der „unehrlichen“ Leinenweberei, dieser Zwist wurde von Seiten der zünftigen Gewerke geschürt, die sich des reinen Stadthandwerks rühmten. Oft waren es die anderen Zünfte, die Schmiede, Gerber, Schlosser oder Maurer, die ein böses Vorurteil gegen die Leinenweber schürten. Um 1670 wurde in Nürnberg erzählt, dass der Rat zu Rostock die Leinenweber verpflichtet hatten, den Galgen zur Hinrichtung aufzubauen. Dies war jedoch eine pure Verleumdung der braven Weber und das, obwohl seit den Reichstagsabschieden von 1548, 1578 und 1594 auch die Leinenweber für „ehrlich“ erklärt waren.
1907 gab es im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 42 Leinenwebereien, fast alle arbeiteten im Einmann-Betrieb. Die Leinenweberei rangierte in der mecklenburgischen Textilherstellung hinter der Wollweberei (mit 66 Betrieben und 206 Beschäftigten) auf Platz 2. Eine Baumwollweberei konnte sich nur einmal etablieren. Mit der zunehmenden Industrialisierung um 1900 nahm der Bedarf an Leinen zugunsten der Baumwolle rapide ab.
Autorin: Hannelore Kuna