Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Lohgerber

Lohgerber


 Lohgerber, die auch Rotgerber genannt wurden, gehörten zum Leder erzeugendem Gewerbe. Die Lohgerber unterschieden sich hauptsächlich von den Weißgerbern durch die verwendeten Tierhäute und dem speziellen Gerbverfahren. Ein Lohgerber verarbeitete große und schwere Häute vom Schwein und Rind nach vegetabilischer (pflanzlicher) Gerbung, mithilfe der Lohe (Eichen- oder Tannenrinde), um strapazierfähiges Leder für allerlei Alltagsgegenstände weiterverarbeiten zu lassen. Beutler, Handschuhmacher, Hutmacher, Riemer, Sattler und Schuhmacher verfertigten daraus vielfältige Lederwaren, die praktisch waren und später genauso modisch sein sollten.
 Das Lohgerberhandwerk war in Rostock seit Beginn der Stadtgeschichte bis weit nach 1900 durchgängig präsent. Kein Wunder, denn von der Gerberei lebten und profitierten nicht nur die direkten Lederproduzenten. Beispielsweise benötigten die Gerbereien große Mengen von bester Eichen- oder Tannenrinde zur Zubereitung der Lohe, die den Gerbprozess in Gang setzte. Um etwa einen Zentner Leder herzustellen, wurden 4-5 Zentner Lohe benötigt. Die hochwertige Eichenrinde war besonders begehrt und wurde daher eine wertvolle und gut bezahlte Handelsware, aus den einheimischen Wäldern schaffte man große Mengen der begehrten Eichenrinde nach Rostock und Hamburg.

 Am „Altstädter Schilde“ (heute Am Wendländer Schilde) vor der St. Nikolaikirche in Rostock wurden für die Gerbereien zentrale Lohmärkte abgehalten (spätestens 1599 bezeugt und als Platzbestimmung geführt). Andererseits beeinflusste der hohe Rindenbedarf die Land- und Forstwirtschaft nicht günstig, was gebietsweise auch zum Baum- und Waldsterben führen konnte, wenn nicht zielstrebig Schälwaldkulturen eingesetzt wurden. Ein kritischer mecklenburgischer Zeitgenosse bemerkte Ende 18. Jahrhundert wohl zutreffend, dass Rostock und Boizenburg (Verkauf nach Hamburg) durch den massiven Loheverkauf den Mecklenburgern die Wälder raubten.
Die Herstellung der Lohe in großen Bottichen gehörte bereits zum Arbeitsprozess der Gerber und erforderte eigene Rezepturen, die sich von Meister zu Meister wohl verschieden. Jedoch kam allen gleich, dass die Eichenrinde zum Gebrauch fein gemahlen sein musste, also waren auch Mühlenbetreiber gefragte Partner.

 In neuerer Zeit bemühten sich Mechaniker, Techniker und Chemiker um Verbesserungen bei der Loheherstellung. Durch die zunehmende Mechanisierung konnte sie vereinfacht und die dafür gebrauchte Zeit verkürzt werden, jedoch blieb die Gefahr der Gesundheitsschädigung.         
1796 arbeiteten im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin 94 Lohgerber, davon allein in Rostock 60 Meister. Große Lohmühlen zum Mahlen der Eichenrinde mit rotierenden Steinen wurden in Rostock, Neubrandenburg und Woldegk betrieben. Für das Jahr 1800 sind in Rostock 47 Lohgerber und 2 Lohmühlen aufgeführt. Im Jahr 1817 zählte man in den Städten von Mecklenburg-Schwerin zusammen 104 Rotgerber, wovon wieder allein auf Rostock 48 Meister kamen. 
Die Geschichte der Loh- bzw. Rotgerber in der Seestadt Rostock ist lang. Erstmals wird das Gewerk mit insgesamt 8 Meistern im Stadtbuch von 1254-1274 genannt. Bei der Handwerkerrevolte gegen den Rat von 1312 hatten auch die Gerber ein handfestes Wörtchen mitzureden. In der St. Nikolaikirche ließen sich die Gerber im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts für ihre religiösen Bedürfnisse eine Kapelle erbauen (Gerberkapelle/Nordsakristei). Für die Bezahlung der Pfarrdienste zahlte jeder Meister das „Predigtstuhlgeld“. Für die Amtsgeschäfte, für Geselligkeit und Unterhaltung unterhielten die Gerber nachweisbar seit 1429/30 einen Schütting (Gemeinschaftshaus) im Gerberbruch, der als Gaststätte bis in das 20. Jahrhundert hinein existierte. Um 1583 verzeichnete das Amt etwa 20 Meisterbetriebe.
 1594/95 zählten die Rotgerber durchaus zu den besser gestellten und angesehenen Handwerksmeistern. Bei der Erhebung der Steuerzahlung vom „Hundertsten Pfennig“, einer Abgabe von immobilem Vermögen, rangierten sie in der Steuerhöhe nach der Gruppe von Ratsherren, Pastoren, Professoren, Kaufleuten und Bierbrauern, aber gleich mit anderen Gewerken wie Böttcher, Bäcker oder Gewandschneider, die zweithöchste Steuer.
Die Grundmittel einer Gerberei besaßen einen hohen finanziellen Wert, sodass danach gestrebt wurde die handwerklichen Traditionen in der Familie zu behalten. Berufsweitergabe und Betriebsübergabe erfolgten hauptsächlich an den Meistersohn, womit zugleich lange gesammelte Erfahrungen unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitergegeben wurden. Während dem Meistersohn freie Heiratswahl zustand, mussten die Gesellen des Gerberamts die ledigen Amtstöchter und freien Witwen vom Fleck weg heiraten. Erst dann konnten nachrückende junge Männer über das Amt hinaus freien.

 Nur in wenigen Handwerken lassen sich lineare Handwerkerdynastien und familienbetriebene Traditionen so stark nachweisen wie bei den Gerbern.
 1577 kam der Gerber Jdel Schulte ins Rostocker Amt und heiratete die Tochter eines Handwerksgenossen, ebenso wie später sein Sohn Zacharias ein Gerbermädel freite und danach war eine Enkelin wieder mit einem Gerber verheiratet. Von seinen Urenkelkindern war ein Zacharias mindestens in zweiter Ehe mit einer Gerbertochter verheiratet, von ihren sieben verheirateten Kindern blieben mindestens fünf Kinder bei Verheiratung in der Gerbertradition.
 Sehr wichtig in der Gerberarbeit waren gute, heile Tierhäute, ohne Löcher oder sonstigen Beschädigungen. Das Aussuchen und der Aufkauf der qualitativ besten Felle z. B. vom Knochenhauer, aber auch vom Abdecker, wurden sehr gründlich besorgt. Mitunter gab es zu den Märkten Vorkaufsregelungen für Gerber, sodass ihnen die Häute zuerst angeboten werden mussten. Doch nicht immer hielt man sich daran.

 Frühzeitig wurden schon rohe Tierhäute aus dem Norden und östlichen Ländern per Schiff eingeführt. In der Rostocker Schifffahrtsliste aus dem Jahr 1785 wurde gelistet, dass innerhalb eines Jahres in Rostock 7 Schiffe voll beladen mit Leder angekommen waren. Die grünen Häute wurden in der Regel in Ballen und noch mit Hornzapfen und Klauen geliefert. Ende 19. Jahrhundert lieferte sogar China ungegerbte Tierhäute nach Norddeutschland, wodurch eine Gefahr der Ansteckung mit Milzbrandkeimen für die Gerber entstand, da chinesische Lieferungen durch die Länge der Transportwege mitunter in mangelhaftem hygienischen Zustand ankamen. Über den Schutz und Umgang mit rohen Tierhäuten und Fellen gab es strenge Verordnungen um die Gesundheit der Arbeitskräfte zu schützen, dazu gehörten regelmäßige Kontrollen der Gerbereien durch städtische Beamte.
  Lohgerber arbeiteten auf eigenen Gerberhöfen, sämtliche zweckmäßige Räumlichkeiten für Arbeiten und Wohnen lagen beieinander. Zum Reinigen der großen Felle wurde fließendes Wasser benötigt, so lagen die Werkstätten an Bächen oder Flüssen und wenn nicht vorhanden, zumindest an Teichen. In manch anderer Stadt kam es vor, dass aus diesem Grund eine Ledergerberei nicht angelegt werden konnte.

 Der Gerberbruch in Rostocks Altstadt wurde als Platz, Gebiet (pallus cerdonum) 1289 erstmals erwähnt, er bot den Gerbern beste Arbeitsbedingungen. Das Territorium grenzte wie der Fischerbruch im Osten fast an die Warnow, ein Seitenarm durchfloss das Gebiet und insgesamt war der Flecken außerhalb der Stadtmauern gelegen. Der von der Siedlung entlegene Standort war schon wichtig für das Zusammenleben mit den Stadtbürgern, denn dass Gerberhandwerk brachte eine unangenehme Geruchsbelästigung mit sich, was oftmals für tüchtigen Ärger in der Umgebung sorgte. Obgleich die Stadtobrigkeit bei der Platzauswahl stets weitsichtig handelte und viele Aspekte berücksichtigte, z. B. Himmelsrichtung, vorherrschende Windrichtung, Lage und Benutzung am Wasser, Schutzvorrichtungen etc., gab es mitunter dennoch Unfrieden mit den Mitbürgern und auch zwischen den einzelnen Gewerken. Doch die Gerber verstanden das Handwerk und ließen sich nicht einfach verdrängen.

 Durch die Ansiedlung mehrerer Gerberhöfe entstand im 13. Jahrhundert die Straße Gerberbruch, mit einem Zugang in die geschützte Stadt durch das „Garber Dohr“ (Gerber Tor).
 Als die Stadtväter 1804 Rostocks Straßen neu verzeichnen ließen, entstand eine weitere nach Gerbern benannte Straße, man erteilte der bis dahin verschiedentlich bezeichneten Verbindungsstraße östlich der Stadtmauer zwischen Gerber- und Küterbruch die Bezeichnung Lohgerberstraße. 
Die Arbeitsprozesse waren körperlich anstrengend und mussten gut durchorganisiert sein. Zunächst wurden gebündelte Felle über mehrere Tage in das Wasser hineingehängt, das tat der Gerberknecht. Entweder hing das Bündel am Steg oder am Floß oder gleich vorne am Ufer. Die Wasserströmung spülte Knochensplitter, Blut und Schlachtreste ab. Band aber der Knecht seine Bündel nicht fest genug, konnten ihm schon mal die Felle davon schwimmen, nicht nur sprichwörtlich. Bei schlechten Anlagen stand er dabei auch mit den Beinen im kalten Wasser, so dass regelmäßige Erkältungen und rheumatische Krankheiten auf Dauer nicht ausblieben und die Gesundheit schnell ruinierten.
 Nach der Grobreinigung im Wasser begann die mechanische Reinigung der Häute. Mit einem Scherdegen wurden erst die Haare entfernt und gesammelt. Denn mit den Borsten ließ sich ein gutes Geschäft mit den Filzmachern bewerkstelligen. Danach kamen die Häute in eine Schwitzkammer, wo durch die Wärme eines Schwelfeuers die Reste von Fleisch, Talg und Fett in Gärung gerieten und anschließend der Gerbknecht wieder mit dem Scherdegen letzte Rückstände abschabte. Die Abfälle wurden anfangs im Fluss belassen, das ging aber nur solange gut, bis sich die Bürger wieder und wieder über das verschmutzte Warnow-Wasser beim Rat beschwerten.
  Nach dem ausführlichen Reinigen erfolgte der eigentliche Gerbvorgang, womit die Felle nach spezieller Art nutzbar gemacht wurden. Gerbknechte legten die vorbereiteten Häute in eine Grube (Lohgrube), die inzwischen mit Gerberlohe gefüllt war. Vermutlich gab auch die rotfarbene Lohe diesem Berufsstand seinen Namen.

 Die Gerberlohe bestand aus eingeweichter feingemahlener Eichenrinde in Wasser, diese Rinde enthielt den wichtigen Gerbstoff Tannin zur Bildung der Gerbsäure. In dieser Mischung, die 2- 3-mal erneuert wurde, lagerten die Häute 6 Monate lang. Bei überaus großen und schweren Kuh- und Ochsenhäuten, war eine Gerbzeit von bis zu 3 Jahren auch keine Seltenheit. Dazu war schon ein größeres Betriebskapital erforderlich.

 Nach der Gerbung wurden die Häute erneut gewaschen, danach getrocknet sowie gewalkt und erst zum Schluss entfernte man die Hornzapfen und Klauen und brachte das Leder in Form. Um ein gutes festes Leder zu erhalten wurden die Arbeitsschritte oftmals wiederholt, bis die entsprechende Qualität erreicht war.
1858 erwarben 2 Lohgerbergesellen das Bürgerrecht. 1872 arbeiteten in Rostock 51 Lohgerbermeister. Nach Einführung der Gewerbefreiheit 1869 gründete sich das Lohgerber-Amt per 22. Oktober 1887 zu Rostock neu.


Autorin: Hannelore Kuna

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