Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Der Lotsenberuf diente seit alter Zeit zur sicheren Ein- und Ausfahrt von Schiffen in die Häfen und Flussmündungen. Fremde Schiffe wurden mithilfe der örtlichen Gewässerkenntnis in den Warnemünder Hafen und weiter zum Rostocker Stadthafen geführt. Weil die Lotsen in Warnemünde zu Hause waren und selbst jahrelang raus auf See gefahren fuhren, kannten sie sich mit den Schwierigkeiten und Tücken der Gewässer aus. Der Schwemmsand und die Sandbänke machten die Einfahrt in den Strom nicht ungefährlich und nachts beinahe unmöglich, da ein hoher Leuchtturm bis 1898 fehlte. Das um 1836 westwärts von der Hafenmündung eingerichtete Leuchtfeuer (Ziehlaterne) war bei klarem Wetter etwa 2 deutsche Meilen seewärts vom Verdeck der Schiffe aus erkennbar. Der Rostocker Petriturm mit einer Höhe von 132 Metern war bei klarer Witterung 28 Seemeilen weit in die See hinaus sichtbar. Mit diesen Seezeichen allein konnten aber die Gefahren des Strandens und Auflaufens nicht verhindert werden. Die Segelschiffe mussten auf Reede ankern und auf die Lotsen warten.
In Warnemünde herrschte für einkommende und ausgehende Großsegler allgemein Lotsen-Zwang. Alljährlich passierten etwa 500 Schiffe mithilfe von erfahrenen Lotsen den Strom, um im Hafen zu Warnemünde oder im Stadthafen von Rostock ihre Kaufmannsladung zu löschen und eine neue Fracht zu laden. Der Lotsenberuf gehörte damit zu den maritimen Erwerbszweigen der Warnemünder.
In den ältesten Zeiten wurden Lotsendienste von erfahrenen Fischern und Fährleuten vorgenommen, die sich mit sämtlichen Tiefen und Untiefen auskannten und zugleich für die Kennzeichnung von Fahrwassern und Sandbänken zu sorgen hatten. Nachweisliche Ausführungen von Lotsendiensten datieren für Stralsund (1280), Greifswald (1350), Rostock (1387) und Wismar (1468). Erste Spezialisten im Lotsendienst nannten sich dann „Piloten“ wie auf Rügen oder auf dem Ruden vor Greifswald.
1729 gab der Rat zu Rostock eine Verordnung darüber zur Kenntnis: „Wie es in Warnemünde mit Ein- und Ausbringung fremder Schiffe … zu halten sei.“ Die Verordnung von 1789 enthielt dann den Titel „Lotsen-Ordnung“. Weil sich wegen der guten Verdienstmöglichkeiten übers Jahr viele Einwohner am Lotsendienst beteiligen wollten, legten die aktuellen Lotsenordnungen jeweils eine Höchstzahl fest. 1729 wurde das Maximum auf 24 festgesetzt, 1781 gab man die Begrenzung wieder auf und die Lotsenordnung von 1802 ließ maximal 30 Lotsen zu.
Die Lotsen standen unter der Aufsicht eines Lotsenkommandeurs, von denen in der Reihenfolge ihre verantwortungsvolle Arbeit verrichteten: Von 1802-1813 Davids, 1813-1826 Peter Gerdes, 1826-1834 Dethloff, 1834-1866 Davids, 1866-1903 Stephan Jantzen, 1903-14 Borgwardt und von 1914-1924 Weniger. Bei Verhinderung wegen Krankheit usw. vertrat den Lotsenkommandeur der Lotsenaltermann. Ab 1853 war im Stadthafen von Rostock der Hafenmeister dem Lotsenkommandeur zu Warnemünde gleichgestellt, dabei führte die oberste Aufsicht über beide „Offizianten“ das Gewett.
Segelte ein fremdes Schiff vor Warnemünde an ließ sein Kapitän die Fahne aufziehen, um den Bedarf für einen Ankerplatz oder einen Lotsen anzuzeigen. Auf das Signal hin fuhr der Lotsenmann mit seinem Fahrzeug dem Schiff entgegen, ging an Bord, nahm die Lotsengebühr ein, bestimmte den Ankerplatz oder brachte das Schiff sicher in den Hafen. Die Warnemünder Lotsen „loteten“ regelmäßig die Wassertiefe im Hafen aus, das taten sie mit Hilfe von Stangen oder mit Blei beschwerten Leinen. Danach konnte die zulässige Einsenkung der ein- und aussegelnden Schiffe beurteilt und bei zu geringer Wassertiefe gegebenenfalls die Löschung von schweren Waren und Ballast angeordnet werden. Wenn nötig, wurde auch zwischen Warnemünde und Rostock ein generelles Fahrverbot ausgesprochen.
Für die Meldung der Wassertiefe an die Schiffer auf Reede waren Zeichen vereinbart worden. Neben der Feuerbarke wurden an einer Stange Bälle aufgehängt, welche die Wassertiefe im Hafen signalisierten. Ein großer schwarzer und ein großer weißer Ball bedeuteten eine Wassertiefe von 14 Rostocker Fuß. Jeder kleinere Ball darüber oder darunter einen Fuß mehr oder weniger. Wenn neben den Bällen zusätzlich eine Fahne aufgezogen wurde hieß das für die Schiffer auf See, dass wegen Sturm und Unwetter kein Lotse mehr rausfuhr.
Bestand jedoch auch für das Schiff auf See ein Notfall (bei Sturm) konnte es bei Beachtung der Wassertiefe ohne Lotsen einlaufen. Dann wiederum fuhren die Lotsen dem Schiff mit Boten und schwenkenden Fahnen entgegen, um den Weg zu weisen, in der Nacht mit Laternen, um es unversehrt in den Hafen zu leiten.
Für den Verkehr zwischen Warnemünde und Rostock bestand für fremde Schiffe mit einem Tiefgang ab 6 Fuß Lotsen-Pflicht. Schiffen bis zu 6 Fuß war es freigestellt sich einen Lotsen zu ordern.
Die Profession des Lotsen setzte sich oft in Warnemünder Großfamilien unter Brüdern oder über Generationen fort. Nach der Volkszählung von 1819 arbeiteten z. B. namentlich acht Evers als Lotsen und weitere Evers fuhren wiederum zur See. Das Lotsengeld wurde von den Schiffsabgaben gezahlt, die gerecht aufgeteilt wurden. Die Höhe der Abgaben richtete sich nach verschiedenen Positionen wie Anker legen und lichten, Fahrt in den Hafen, Fahrten zwischen Warnemünde und Rostock, Ausmessen des Tiefgangs der Schiffe usw. Im Winterhalbjahr erhöhten sich die Gebühren um 25 Prozent gegenüber dem Sommerhalbjahr. Verunglückte ein Schiff im Hafen, so durften die Lotsen 10 Prozent des Werts der Schiffsgüter einbehalten und 90 Prozent standen dem Rat zu Rostock zu.
Unter den Lotsenkommandeuren gab es kluge und weltgewandte Leute. Ein Denkmal setzte sich Stephan Jantzen (1827-1913), der 1866 zum Lotsenkommandeur in Warnemünde gewählt wurde. Noch bevor er sein Amt aufnahm, hatte er als erster Warnemünder und mit eigener Bark „Johannes Keppler“ 1861 eine Weltreise absolviert und unternahm noch bis 1866 eine 2. Weltreise. Er stiftete 1888 zum Andenken an die erste große Reise das Votivschiff „Marie“ für die Warenmünder Kirche. Ein zweites Schiffsmodell im Gotteshaus stammt vom Lotsenkommandeur Jungmann.
Stephan Jantzen übte das Amt über 37 Jahre aus. Gleichzeitig war er als Vormann der Rettungsgesellschaft an der Rettung von über 80 Menschen aus Seenot maßgeblich und unter Einsatz seines Lebens beteiligt. 1890 wurde er zum Beisitzer am Reichsoberseeamt in Berlin berufen und nahm teil an der Aufklärung von Seeunfällen der deutschen Kauffahrteischiffe. Als er 1913 in Warnemünde starb, waren ihm viele hohe Ehrungen zuteilgeworden.
Am 16. Juli 1919 erfolgte in Hamburg die Gründung des Deutschen Lotsenbundes, des ersten Dachverbandes aller deutschen Seelotsen. Am 1. Oktober 1950 wurde zur Leitung des gesamten Lotsendienstes die Dienststelle „Chef des Lotsenwesens“ mit Sitz in Rostock geschaffen. 1964 kamen die Lotsen zum VEB Lotsen-, Bugsier- und Bergungsdienst und 1970 zum VEB Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei Rostock (BBB).
1990 wurde die gemeinsame Lotsenbrüderschaft Wismar, Rostock und Stralsund gegründet und trat gleichzeitig der Bundeslotsenkammer bei, in der heute alle sieben deutschen Lotsenbrüderschaften vertreten sind.
Autorin: Hannelore Kuna