Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Der Berufsstand der Matrosen war sehr angesehen in den Seestädten Rostock und Wismar, auf dem Fischland oder in Ribnitz. In Rostock berechtigte die Ausübung des Seemannberufs zum Erwerb des Bürgerrechts wie jede andere anerkannte Profession. Im Unterschied zum Handwerk waren die Männer den größten Teil des Jahres auf den Schiffen unterwegs, fern der Heimat und den Familien. Ein Arbeitsjahr der Matrosen wurde mit 9 Monaten gerechnet und das verbleibende restliche Vierteljahr lag das Schiff auf Winterlage.
Für das Jahr 1843 führte die Berufsstatistik von Rostock 102 Schiffer, 28 Leichterschiffer und 102 Matrosen auf. Mit lediglich 102 gezählten Matrosen hätten viele Schiffe ihre Mannschaft nicht besetzen können. Ein Großteil der Matrosen kam vom mecklenburgischen Fischland und aus Ribnitz; vom Darß, aus Barth und Damgarten sowie anderen Orten Vorpommerns nach Rostock. Das Schiffsvolk war bunt gewürfelt von jung bis alt: Matrosen, Koch, Zimmermann, Schiffsjungen. Die mecklenburgischen Matrosen, und besonders die aus Rostock und vom Fischland, standen international in ansehnlichem Ruf. Man lobte sie, einmal weil sie ihr Handwerk auf dem Schiff gut verstanden und dann wegen ihrer einfachen und guten Sitten. Die jungen Männer konnten nicht früh genug aufs Schiff kommen, woran die Geschichten der weit gereisten Matrosen einen gewissen Anteil hatten, die in literarischen Darstellungen kräftig ausgemalt wurden, wie z. B. Joachim Hartwig Hundt (1780-1835): „Überhaupt hatte sich mein Physisches, was sonst in den Nordländern nicht häufig der Fall ist, sehr frühzeitig entwickelt. Schon als zwölfjähriger Knabe musste ich mich wöchentlich zwei mal rasieren, rauchte nachher aus den schönen meerschaumenen Pfeifen, die mir mein Vater geschenkt hatte, trank Wein, Rum, Branntewein und Bier, wie ein Rostocker Matrose, ohne merkliche Nachwehen zu spüren, und tummelte mich lustig und wohlgemut auf den wildesten Pferden herum.“
Die Schifffahrt setzte üblicherweise im März ein und dann erwachte das Matrosenleben aus dem langen und spröden Winterschlaf. Vom Fischland her zogen die Pferdeleiterwagen beladen mit den Matrosen in die Stadt. In manchen Jahren musterten etwa 1000 Fischländer auf Rostocker Schiffen an, obwohl die Fischländer Flotte nach 1830 selbst um die 100 Schiffe besaß. Zu jedem Wagen gehörten 10-12 kräftige Matrosen, die ihre Seemannskisten auf die Wagen verfrachtet hatten. Mit großem Tumult versammelte sich die alte Mannschaft eines Schiffes und ging mit dem Steuermann voran zum Rathaus.
Als „Stellenvermittler“ im Seegewerbe galt im 19. Jahrhundert der Heuerbaas, ihn sprachen die Matrosen an, wenn sie eine Fahrt brauchten und sein Wort galt, denn einen Arbeitsvertrag gab es nicht. Sprachen Ausländer vor, mussten sie einen Reisepass vorlegen und Mecklenburger sollten mindestens 21 Jahre alt sein. Außerdem sollten sie zu diesem Zeitpunkt den Militärdienst absolviert haben oder einen Musterungsfreischein vorlegen können. Mit diesen Papieren ausgerüstet, meldete sich der Seefahrer am Vormittag beim Ratssekretär persönlich und am Nachmittag erfolgte auf der Schreiberei die Musterung und Ausgabe des Deklarationsscheins für das Schiff mit allen wichtigen Angaben: Kapitän, Fahrtziel, geltende Musterrolle, Beginn der Heuer usw.
Die Pflichten und Rechte der Matrosen waren in der Musterrolle in vielen Paragrafen festgelegt, das wurde in Rostock ähnlich gehandhabt wie bei der Amtsrolle für das jeweilige Handwerk. Viele Punkte betrafen regelrecht die Arbeitsdisziplin. Schlief beispielsweise ein Matrose auf der „Anker- oder Auskiekwache“ ein, so konnte er nach der Rostocker Musterrolle mit 3 bzw. mit 6 Talern bestraft werden. Jede Entfernung von Bord ohne Erlaubnis des Kapitäns konnte den Einzug einer halben Monatsheuer bedeuten (§ 8).
Mitte Oktober 1866 trat eine neue Musterrolle mit 33 Paragrafen in Kraft. Die wesentlichste Veränderung war die Einsetzung eines Wasserschouts, wie in Hamburg, über den nun sämtliche Musterungsgeschäfte liefen. Nach § 10 der Musterrolle stand ihm eine schwierige Aufgabe zu. In den Verhandlungen zwischen Heuerbaas und anmusternden Matrosen sollte er im Falle einer Unterbezahlung der Heuer eingreifen, um „einen vorübergehenden Mangel an Mannschaft abzuhelfen“, bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Das Ziel der Reise war den Matrosen überwiegend unwichtig, denn ob nach Russland, Grönland oder Konstantinopel, Hauptsache es ging wieder auf See und die monatliche Heuer von 10-11 Talern stimmte. In Lübeck zahlten die Reeder durchschnittlich 13,5 Taler, Kiel und Hamburg 10 Taler und Stettin gar nur 8,75 Taler. Es gab Seeleute, die „schipperten“ ihr Lebtag nur auf einem Schiff. Besonders beliebt waren immer wieder die Langreisen, zu denen man gleich auf zwei Jahre anmusterte. Auf diesen Fahrten hatten die Matrosen ein „ruhiges“ Leben und dazu die Möglichkeit Ersparnisse zu machen, war auf so langen Fahrten weitaus größer. Wer nur auf Kurzreisen anheuern konnte, blieb auch manche Monate im Jahr ohne Lohn.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es kaum Ausbildungsmöglichkeiten zum Matrosen. Denn nach der Hansezeit war das Erlernen des Seemannsberufs Privatsache geworden. Oft erlernte der Sohn vom Vater, der jüngere vom älteren Bruder usw. das seemännische Handwerk. Diese Schiffe kamen kaum aus der Ost- und Nordsee heraus, so reichte das auf diese Art und Weise erworbene Wissen in der Regel aus. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts konnte man in Mecklenburg durchaus ohne spezielle Ausbildung zum Kapitän aufsteigen, indem man eine lange Berufserfahrung über viele Jahrzehnte nachwies. Dagegen existierten in Hamburg bereits seit 1749, in Bremen seit 1790 und in Lübeck seit 1808 höhere Seefahrtsschulen.
Die Aufhebung der englischen Navigations-Akte 1854 gab der mecklenburgischen Seefahrt neue Perspektiven und erhöhte nun die Größe des Schiffervolkes. 1854 wurde in Rostock eine Navigationsschule nach dem Muster der Bremer, Hamburger und Danziger Anstalten mit vier Klassen eröffnet. In der vierten Klasse sollten Jungen bis zu 14 Jahren, die ohne jegliche praktische Schiffskenntnisse waren, mit einem Schulgeld von vierteljährlich einen Taler auf den künftigen Matrosendienst vorbereitet werden. Ganzjährig gab es für die Rostocker Knaben von Oktober bis Oktober Unterricht. In der 3. Klasse wurden junge Matrosen, mit erster nachweisbarer Seefahrt, für ein Schulgeld von vierteljährlich 2 Talern unterrichtet. Die Ausbildung erfolgte im Winterhalbjahr, begann im Oktober und endete mit Beginn der Schifffahrt. Dem Eintritt in den Unterricht nach Weihnachten wurde nicht mehr stattgegeben. Von allen Schülern wurde strenge Disziplin verlangt, bei groben Verstößen gegen die Schulordnung drohte ihnen der Verweis. Sämtliche Unterrichtsmittel wie Lehrbücher, Logarithmentafel oder Reißzeug waren mitzubringen.
Autorin: Hannelore Kuna