Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Nadler

Nadler

 

 Der Beruf des Nadlers zählt zu den älteren metallverarbeitenden Handwerken, ist aber in dieser Weise im 20. Jahrhundert gänzlich ausgestorben. Doch fast ein jeder kennt die wichtigsten Nadlerprodukte, nur werden sie heute maschinell hergestellt und sind z. B. in jeder Handarbeits- Boutique zu haben. Die gute alte Nähnadel, durch deren kleines Öhr immer noch der Faden gezogen werden muss, ist begehrt wie eh und je, oder die variabel verwendbare Stecknadel, mit der man Putz, Schmuck und andere Dinge festmachen kann. Ohne Nadeln gäbe es keine individuellen Handarbeiten, die wieder voll im Trend liegen oder sollte man besser sagen, die nie wirklich vergessen wurden.

 Sicher, die Wertigkeiten haben sich geändert. Früher wurde gehäkelt, gestickt, genäht oder gestrickt aus der Notwendigkeit heraus sich warm zu bekleiden. In Kriegszeiten oder Nachkriegszeiten hieß es durch Verwertung getragener Materialien „aus alt mach neu“. Inzwischen strickt Frau oder gar Mann um ein individuelles, einmaliges, selbst angefertigtes Bekleidungsstück zu haben. Ja, das ist chic und kein bisschen neu. 

 Nadeln zum Zusammenhalten und Zusammennähen von Gewändern sowie als schmückendes Beiwerk gab es von Anbeginn. Ursprünglich verwendete man dazu natürliche spitze Gegenstände aus der Natur: wie Dornen und Fischgräten, Horn, Knochen und Hirschgeweih, mit der Zeit verfertigte man Nadeln aus unterschiedlichem Metall (Eisen, Bronze, Kupfer, Silber und Gold).

 Metallene Nadeln finden sich bei den alten Babyloniern, Griechen, Römern und Kelten, meist aus schmiedbarem Eisen und Bronze. Man fertigte sie aus dünn gehämmerten Stäben, bearbeitete sie weiter mittels Schleifen und Feilen, bildete den Kopf durch Anstauchen, Auflöten oder Annieten und das Öhr an der Nähnadel durch Umbiegen des einen Endes. Bei den älteren Bronzenadeln befand sich das Öhr anfangs in der Mitte und erst später kam das Öhr zum Ende der Nadel, wodurch sie zweckmäßiger wurde.

 Wie zahlreiche archelogische Grabfunde für Mecklenburg nachweisen, wurde die Nadel mit Bügel und Platte zur „Fibel“ komplettiert, so sah sie einer schönen Brosche ähnlich und diente zugleich dem Schließen und Halten von Gewändern, durch ihre Zweckmäßigkeit für die Bekleidung geriet sie nie aus der Mode.

 Am Ende des 18. Jahrhundert zeigte eine Warnemünder Hochzeitstradition, dass der Braut ein an den Ohren dicht anschließendes Kopfzeug/Kopfschmuck aufgesetzt und vorne mit einer blanken Nadel befestigt wurde; ehe obenauf die Brautkrone kam, an deren Vorderseite sich ein Spiegel befand. Wie sonst hätte der Brautschmuck halten können?

 Die Entwicklung des Nadlers ist historisch eng mit dem Herstellen des Drahtziehens verbunden, das zunächst vor dem 11. Jahrhundert zur Drahterzeugung für die Kettenpanzer entstand, dann perfektioniert durch die Drahtmühle um die Mitte des 14. Jahrhundert. Mit dieser technischen Erfindung erhielt der Nadler sein bereits aufbereitetes Ausgangsmaterial in verschiedensten Metallen und er brauchte die Nadel nicht mehr von Grund auf aus Eisen zu schmieden oder in Bronze, Gold und Silber gießen.

 1370 erscheint das Nadlergewerbe erstmals in Nürnberg, um 1400 ist das Amt der Nadler in Rostock erstmals erwähnt; „de netelere“ hatten für die Stadtverteidigung drei Bewaffnete zu stellen. Um 1850 arbeiteten in Rostock noch 11 Nadler.

 Hauptsächlich stellten die Nadler Nähnadeln und Steck- bzw. Anstecknadeln her.

Nähnadeln fertigten sie aus zugespitztem Eisendraht, indem ein Öhr in der Weise gebildet wurde, dass man das Ende breitschlug, spaltete und dann wieder die entstandenen Enden übereinander klopfte. Die Härte erhielten die Nadeln durch nochmal Durchglühen und den Glanz durch kräftiges Schleifen und Polieren, was sehr wichtig war. Diese Fertigungsart mit gelochten oder gebohrten Öhren entstand noch im 14. Jahrhundert.

 Nadlerwerkstätten waren seit dem späten Mittelalter in vielen Städten Mecklenburgs vertreten. Der Nadler verfertigte aus Eisen-, Stahl-, Kupfer-, Messing- und Silberdrat die verschiedensten Näh- und Stecknadeln zum häuslichen Gebrauch und bediente weiterhin andere, fremde Gewerbe: Bader, Ballenbinder, Barbiere, Buchbinder, Handschuhmacher, Hutmacher, Kerzenzieher, Knopfmacher, Perückenmacher, Sattler, Schneider, Schumacher, Strumpfmacher, Taschner, Tuchmacher, Weißnäherinnen und andere Handwerke.

 Aus gezogenem Draht fertigte der Nadler außer seinen Hauptprodukten später Erzeugnisse an, die zusammengefasst unter der Bezeichnung Nadlerwaren angeboten wurden: wie Haken, Ösen, Ketten, Schnallen, Gardinenringe, Stuhlfedern, Kämme für die Wollweber, Papiermacherformen, Messketten für die Landvermessung, Angelhaken, Bienenkappen, Vogelbauer, Kornfege oder Fliegenfenster. Die Produktpalette im Nadlerhandwerk war zunehmend so breit und so umfangreich geworden, dass ein Nadler allein kaum die gesamte Bedarfs-Palette bedienen konnte, so wurde eine Spezialisierung notwendig.

 Die besten Nähnadeln wurden im 18. Jahrhundert in Frankreich hergestellt, aber die deutschen Nadeln standen ihnen im Ruf nicht nach. Die Franzosen gaben den Nadeln je nach Größe Nummern. In Deutschland gab man den Nadeln je nach ihrem Zweck den Namen wie: Schneidernadel, Knopfmachernadel, Heftnadeln (Buchbinden), Dochtnadel (Kerzenziehen), Kürschnernadel, Riemernadel, Schusternadel, Knopflochnadel (Rentrirnadeln, Rethnadeln), Wollnadel, Seidennadeln, Sticknadel, Teppichnadel, Nadel zum Spitzennähen oder die gute alte Stopfnadel.

 Eine weitere Nadelform und Produkt des Nadlers waren die Stricknadeln, sie bestanden ursprünglich aus einem längeren Draht, etwa 200-250 mm lang, aus Eisen, Stahl oder Messing, für vornehme Damen mitunter auch aus Silber, aber immer mit abgerundeten und fein geschliffenen Enden, um den Faden mitnehmen zu können und das Strickmaterial nicht zu beschädigen. Gehandelt wurden Stricknadeln nach Länge und Stärke. Mit dem Stricken ist die Benutzung von zwei, anstelle von einer Nadel verbunden, das änderte zugleich die Art und Weise der Maschenbildung.

 Stricken als häusliche Frauenarbeit tritt im späten Mittelalter auf. Diese Verarbeitung von Wolle und Seide, weniger Leinen, ist lange vorher in der Mode nachweisbar. Zum Beispiel trugen Bischöfe gestrickte Handschuhe als Attributszeichen. Gestrickte Wollsocken oder andere Beinkleider trugen die weltlichen Hohen Herren noch viel früher, später wurden Baretts und Mützen gestrickt. Es dauerte dann auch nicht lange, da wurde mit der Handarbeit aus 2 Stricknadeln die Arbeit mit 4 Nadeln und folglich ein Rundstrick angefertigt.

 Später fehlte die Stricknadel wohl zu keiner Zeit in einem ländlichen und städtischen Haushalt. Besonders auf dem Land wurde aus gesponnener Schafswolle warme Bekleidung für den Winter angefertigt.

 Bekannt, modern und nützlich insbesondere für die Haarmode bei den Frauen aller Stände waren ebenso die Haarnadeln. Der Nadler schnitt sie aus Eisendraht zu, spitzte den Draht an beiden Enden zu und bog ihn über einer Klammer geschickt zusammen. Für Trauerbekleidung ließ der Nadler die Haarklammern in heißen Pfannen blau anlaufen oder schwärzte sie mit Leinöl, das so eingebrannt wurde.

 Die zweite große Produktpalette der Nadlerverfertigung waren die Stecknadeln. Sie wurden aus Messing oder aus Eisen gefertigt. Der Draht wurde in doppelter Schaftlänge zugeschnitten und in der Hälfte getrennt, die eine Hälfte angespitzt und aus der anderen, inzwischen zur Spirale gedrehten Hälfte, der Kopf mit Hammerschlägen zu recht gehauen und schließlich an den Nagelschaft angeklopft.

 Auf die Menge der täglich anzufertigenden Nadeln, war es eine schwere körperliche Arbeit, die erst im 17. Jahrhundert durch die sogenannte Wippe, eine mechanische Hammervorrichtung, eine gewisse „Arbeitserleichterung“ erhielt.

 Stecknadeln aus Messingdraht sahen häufig auch silberfarbig-weiß aus, da sie nachträglich verzinnt, versilbert und schon vorher der Messinglegierung kleinere Zinn-, Blei- und Quecksilberanteile beigegeben wurden. Eiserne Nadeln glänzten wiederum mehr in grau und schwarz und dienten wie die Haarnadeln zur Trauerausstattung.

 Verkauf und Handel von Stecknadeln erfolgten nach dem Gewicht oder nach Bedarf wurden sie auf Papier ausgezählt und befestigt, was man als Stecknadelbrief bezeichnete.

 Auch das Nadlerhandwerk wollte gelernt sein. Die Lehrzeit betrug allgemein 3-4 Jahre und der Lehrjunge sollte gesund und geschickt sein. Das Anspitzen, Schleifen und Polieren der Nadeln war eine sehr staubige Angelegenheit. Die Nadlergesellen verfügten über ein „geschenktes Handwerk“, für einen einwandernden Gesellen bedeutete dies, dass er 10 bis 12 Groschen Lohn und freies Nachtlager erhielt, wenn er bei einem Meister in einer fremden Stadt einkehrte und Arbeit bekam. In der Handwerksrolle stand geschrieben, dass Gesellen, die Meister werden wollten, 200 „dreischneidige“ Kürschnernadeln auf Carlsbader Art; 200 vierschneidige Barbiernadeln zum Heften der Wunden, und 200 gemeine Schneidernadeln anfertigen sollten. Weiterhin mussten sie ein rundes Gatter von Draht vor einem Kellerfenster machen. Dies alles hatte der Geselle in des Altmeisters Haus innerhalb 8 bis 14 Tagen zu verfertigen.

 Mitte 19. Jahrhundert hatte die erstarkende industrielle Produktion das Nadlerhandwerk verdrängt.

Die Statistik des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin weist per 1907 diese Tendenz eindrucksvoll nach, denn landesweit beschäftigten sich im Hauptberuf nur noch 9 Handwerksmeister mit der Herstellung von Näh- und Stecknadeln sowie allgemeinen Nadlerwaren. 


Autorin: Hannelore Kuna

Share by: