Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Nagelschmied
Der Nagelschmied oder Nagler gehörte zu den Kleinschmieden und lieferte Eisen- und Stahlnägel. Ein Nagler in Rostock wird im ältesten Stadtbuch erwähnt (1254-1275). Seit dem 15. Jahrhundert wurde unterschieden in Weißnagelschmied, der verzinnte Nägel herstellte, und Schwarznagelschmied für (schwarze) Eisennägel. Nach den städtischen Katastern von 1852 existierten in den Städten des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin insgesamt 96 Nagelschmieden, davon arbeitete in der Seestadt Rostock eine Nagelschmiede im Kleinhandwerk. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Nägel vielfach bereits maschinell in Fabriken hergestellt und damit die handwerkliche Herstellung verdrängt. Von Hand wurden aber noch lange Zeit besondere Aufträge verfertigt, dazu gehörten z. B. Huf- und Schuhnägel oder Maßarbeit für große First- und Schleusennägel. Dann waren die Nagelschmiedemeister gefragte und gesuchte Handwerker.
In der Werkstatt des Nagelschmieds gab es eine Esse mit einem Blasebalg, der über ein Gestänge per Hand oder Fuß betätigt wurde. Um bei der Arbeit Verletzungen zu vermeiden, wurden mitunter Hunde abgerichtet, die in einem Tretband liefen. Typisch für die Nagelschmiede war das Nageleisen, mit einem nach unten sich erweiterndem Loch, das oben in einer Krone die genaue Querschnittsform und Größe des Nagels hatte. Um jede Art von Nagelsorten herstellen zu können, brauchte der Nagelschmied etwa 60 verschiedene Nageleisen.
Es gab Nägel in unterschiedlichsten Formen und für verschiedenste Verwendungszwecke, kantig oder rund waren der Nagelschaft und ganz variabel der Nagelkopf. Es gab Nägel mit kleineren und größeren, ganzen und halben, mit glatten, mit pyramidalen, mit konischen, halbkugeligen Köpfen, und mit dreieckigen und viereckigen Köpfen (Hufnägel); ferner Blassernägel, Brettnägel, Lattennägel, Kraften, Schindelnägel, Schiefernägel, Kutsch-, Küris-, Rosen-, Schloss-, Schocker-, Schieblings-, Radnägel, Reif- und Bandnägel, Blasbalgnägel, Schlossernägel, Maurernägel, Schuhnägel (Pinnen, Mausköpfl), Bootsnägel und Tornägel. Die größten Sorten nannte man Schleusennägel, sie waren bis zu 45 cm lang. Schiffsnägel hatten eine Länge von 20 bis 25 cm. Andere nach der Länge benannt Nägel hießen dann fünfzölliger, dreizölliger usw. Die kleinen Sorten wie Zwecken (broquettes) für Tapezierer, Sattler und Stellmacher, waren so winzig, dass vielleicht tausend Stück auf ein Pfund kamen. Daneben wurden in Mecklenburg Nägel nach den Kosten pro Schock benannt: Groschennägel, Schillingsnägel, Sechslingsnägel oder Dreilingsnägel.
Der Nagelschmied schmiedete zunächst grob den Nagel aus Stabeisen unter Feuer und Hammerschlägen auf dem Amboss, steckte die Spitze in das Nageleisen, schlug oder brach den Nagel von der Stange ab, schmiedete den Kopf und schlug den fertigen Nagel von unten aus dem Nageleisen heraus. So oder ähnlich wurden Nägel mit Köpfen gemacht, was sprichwörtlich so viel bedeutet wie eine Angelegenheit zu Ende zu bringen und seither in den Volksmund übergegangen ist.
Nägel, wenn sie gut werden sollten, durften weder aus zu hartem bzw. sehr sprödem noch aus zu weichem Eisen geschmiedet werden. Beim ersteren Fall konnten sie beim Einschlagen brechen und im zweiten Fall leicht verbiegen. Die Schmiedearbeit war zeitaufwendig und körperlich anstrengend, weil es immer auf die Masse der Produkte ankam. Dabei erforderte ein Nagel je nach Größe bis zu 60 Hammerschlägen und bis zu zwei Minuten Arbeitszeit. Bei einer Arbeitszeit von 12 bis 14 Stunden (mit Pausen) stellte der Nagelschmied täglich 500 bis 4000 Nägel her. Konnte der Nagelschmied sich einen Gesellen halten, bezahlte er ihn deshalb nach Stücklohn. Da die Arbeit hauptsächlich aus mechanischem Zuschlagen bei einseitiger körperlicher Haltung bestand, die Männer außerdem täglich starken Temperaturunterschieden an der Esse ausgesetzt waren, wurde ihre Gesundheit beizeiten ruiniert. Da konnte ein Nagelschmieder bei der Belastung mit vierzig Jahren körperlich schon ein alter Mann sein.
Das Kleinschmiedehandwerk zählte zu den so genannten „geschenkten Handwerken“. Lehrjungen lernten meist zwei bis drei Jahre beim Meister und wie in anderen Berufen ging es nach der Lehrzeit zwei Jahre auf die Wanderschaft. Nach Rostock ziehende Gesellen erhielten hier aus der Handwerkslade einen kleinen Geldbetrag oder freies Essen zur Beihilfe und Unterstützung auf eine gewisse Zeit. Ungeschenkte Handwerke hatten hierzu keine Verpflichtung, obwohl vielfach aus Gewohnheit und Gastfreundlichkeit kleinere Gaben von den Meistern an die Wanderburschen ausgegeben wurden. Als Meisterstück waren bei den Nagelschmieden in der Regel ein Nageleisen und verschiedene Sorten von Nägeln herzustellen.
Wirtschaftlich hatte der Nagelschmiedemeister ein entschiedenes Problem, er leistete zunächst unentgeltliche Vorarbeit. Während Tischler, Zimmermann, Goldschmiede per Auftrag arbeiteten, mussten Nagelschmiede immer auf Vorrat produzieren. Niemand bestellte eine Bürste, ein Pfund Bindfaden, ein Schock Nägel, einen Korb und ähnlich kleine Wirtschaftsgegenstände; Bürstenbinder, Seiler, Nagelschmied und Korbmacher mussten die Waren vorrätig halten, wie geringfügig und armselig auch ihr Geschäftsbetrieb war. In einem deutschen Volkslied über den Nagelschmied heißt es: „Wenn viel tausend (Nägel) fertig sein, zählt er sie und faßt sie ein, und thut auf den Markt hinlaufen … Nagelschmied arbeitet sich müd, Tag und Nacht hat er keinen Fried …“. Das beschrieb einmal mehr die Mühsal des Handwerks. Den Absatz der Nägel übernahm der Meister oft selbst, besuchte wie ein Hausierer mit seinen Produkten die Märkte, mancherorts wurden die Nägel auch durch Nagelhändler vertrieben.
Vermögen und Ansehen der Nagelschmiede waren relativ gering, im Rostock der frühen Neuzeit reichte es für sie nicht zum Bau von stattlichen Giebelhäusern, sie bewohnten lediglich sogenannte Buden. Das waren nur kleinere armselige Hütten.
Im 18. Jahrhundert bekamen die Handwerker die Konkurrenz durch „staatlich geförderte“ Eisenhüttenwerke mit eigenen größeren Nagelschmieden existentiell zu spüren. In Mecklenburg wurde zur Erhaltung der Eisenwerke in Dömitz 1755 befohlen, dass auf den Domänen sämtliche Schmiede ihr Stabeisen zur Herstellung von Nägeln aus Dömitz beziehen und die Untertanen ihre Nägel weitgehend aus Dömitz einkaufen sollten.
Zeitweise verbesserte der Holzschiffbau den Verdienst der Nagelschmiede. Wenn ein Seeschiff in Auftrag gegeben wurde, waren Anker-, Ketten- und Nagelschmiede am Bau mitbeteiligt. Planken mussten mit Nägeln und Bolzen zusammengehalten werden. Zwar erhielt bei vielen Schiffstypen der Holznagel bei der Befestigung des Schiffskörpers im Unterwasserbereich den Vorrang, doch gab es auch Bauarten bei denen schmiedeeiserne Nägel: Klingnägel, Koggennägel, Bolzen und eiserne Spieker den entschiedenen Vorzug zur Befestigung erhielten. Die zunehmende Industrialisierung verdrängte den Nagler, doch es gab immer vereinzelte Handwerksmeister, die sich den neuen Bedingungen gewandt anpassten und selbständig arbeiteten. Das betraf dann überwiegend die Stadtrandgebiete oder ländlichen Bereiche, da die Kleinschmiede eng mit der Landwirtschaft verbunden arbeiteten, um Werkzeuge und Gerätschaften herzustellen oder zu reparieren.
Autorin: Hannelore Kuna