Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Riemer

Riemer


Kaum jemand kennt heute die alte Handwerkerbezeichnung der Riemer, sie gehörten zum Leder verarbeitenden Handwerk und die Riemenfertigung verweist auf eine starke Spezialisierung innerhalb dieses Gewerks. Denn in den frühesten Zeiten arbeiteten die Menschen hauptsächlich mit ihrer körperlichen Kraft: Wie Lasten heben, tragen, drücken usw. Um eine Ware z. B. von A nach B transportieren zu können, brauchte man neben einem stabilen Behältnis auch entsprechende Hilfsmittel, um sie zu befestigen, sie zu heben, ziehen usw. und solche Hilfsmittel aller Art und zu jeglichem Gebrauch stellten die Riemer her.

 Die Riemer bzw. Riemenschneider, niederdeutsch auch remensnidere (incisores corrigiarum, corrigicide lat.) bildeten in Rostock mit den Beutlern, Sämischbereitern und Gürtlern ein Amt und stellten Anfang des 15. Jahrhunderts 20 Bewaffnete für die Stadtverteidigung.

 Sie fertigten auch Arbeitsgeschirr und Zaumzeug für die tägliche landwirtschaftliche Arbeit mit den Pferden und Rindern, wozu sehr stabile Gurte und Riemen nötig waren, um die Arbeitstiere optimal führen zu können. Arbeitskommandos reichten alleine nicht aus, um die Tiere im Zaum zu halten und das Tagwerk zu bewältigen.
In den ältesten Stadtbüchern von Rostock sind erstmals 4 Riemer nachweisbar. Die Riemenschneider zahlten in den 70-er Jahren des 13. Jahrhunderts an die Stadt eine jährliche Abgabe von 3 Mark, nach dem Kämmereiregister von 1325 wurde die Gebühr in gleicher Höhe beibehalten. Die älteste Amtsrolle der Rostocker Riemer hatte den Titel: „Rollengerechtigkeit der Büdeler, Semischbereiter, auch Riemer und Gördeler“ (1407 und 1590). Im Amt waren damals vier Gewerke miteinander vereinigt.

 Nach dem Rollenbuch ereigneten sich einige Rechtsstreitigkeiten: 1603 Riemer mit den Sattlern, 1618 Beutler mit Corduanbereiter, 1622 Beutler und Riemer mit einem Handschuhmacher, 1629 und 1642 Riemer und Zaunschläger mit einem Sattelmacher. Andererseits verbot eine aus dem 16. Jahrhundert stammende Schmiederolle den Riemern das Feilhalten von unbeledertem Schmiedewerk, das wiederum kam nur den Schmieden zu.

 Im Jahr 1782 nutzten die Riemer gemeinsam mit den Gerbern ein Wirtschafts- und Versammlungshaus vor dem (ehemaligen) Petritor. Der Rat wollte wegen der Geruchsbelästigung nicht, dass jeder Riemer einen eigenen Gerberhof bei seinem Anwesen betrieb. Die gemeinsame Nutzung zeugt davon, dass die Riemer die Ledererzeugnisse nicht unabhängig von den Gerbern machen konnten.

 1800 fertigten 20 Riemer in Rostock Lederwaren an. Die rohen Häute erhielten sie in großem Maße von den Knochenhauern der Stadt. Aus den Ochsen- und Rindshäuten gerbten die Riemer selbst schwarzes lohgares Geschirrleder. Auch weißgares Rindsleder (Alaunleder) wurde zu vielerlei Arbeitsgeschirren verwandt, aber noch mehr zu Halftern für die schweren Arbeitstiere, die in Mecklenburg in dieser Zeit noch die Ochsen und Kühe waren. 
Die Arbeit der Riemer wurde im Laufe der Jahrhunderte umfangreicher und spezieller. Man Unterschied um 1800 die Riemer in Geschirrmeister, Galanterieriemer und Landriemer; der Bedarf war derart gestiegen, dass sich eine Spezialisierung auszahlte. Geschirrmeister und Geschirrarbeiter machten das passende Brust- und Kummetgeschirr der gehobenen Art für die Kutschpferde, für ein-, zwei-, vier- oder sechsspännigem Einspann und das Zaumzeug für die herrschaftlichen Reitpferde. In der Geschirranfertigung bestand die umfangreichere Riemerarbeit.

 Galanterieriemer dagegen fertigten feine kunstvolle Lederwaren für die Leute an, wie stilvolle mit Gold oder Seide bestickte Ledergürtel für den Ratsherrn oder die Offiziere. Dazu passend gab es elegante lederne Pistolentaschen und Degenhalter, die sehr beliebt waren bei den hohen Herren und auch der Eitelkeit schmeichelten.

 Dagegen bediente der Landriemer, trotz der Bezeichnung wohnte er in der Stadt, den „gemeinen“ Mann in seinen praktischen Bedürfnissen, damit die Hose nicht rutschte und damit er mit seinem Pferd oder Ochsen die tägliche Arbeit verrichten konnte.
 Als Grundwerkzeuge benutzten alle Riemer ein entsprechendes Nähzeug (Ahlen und Nadel), Schneidewerkzeuge (Messer, Scheren), Locheisen und Reifelhölzer, Letztere zum Einprägen von Verzierungen, Namen, Marken usw. Geschirr, Zaum und Zügel bestanden zum Großteil aus einzelnen Riemen, die nach Bedarf passend zusammengeschnallt wurden. Eine solide Riemerarbeit konnte daher zu jedem Reitpferd angelegt werden.
 Zur Herstellung wurde schwarzes oder braunes Leder in schmalen Streifen zugeschnitten. Der Zuschnitt erfolgte nach vorgezeichnetem Aufmaß mit einem scharfen Ledermesser durch des Meisters geübte Hand. Jeweils zwei Lederstreifen wurden zu einem Riemen zusammengenäht, versteppt, vernietet und mit Beschlägen, Stickereien verziert. Zum Nähen erwarb der Riemer dicken Bindfaden vom Seiler, den der Riemer der Haltbarkeit wegen noch in Schwarzpech tauchte. Je nach Auftrag entstanden zu den verschiedensten Anlässen praktische oder auch luxuriöse Geschirre und Zaumzeuge für herrschaftliche Kutsch- oder Reitpferde.
 Nicht nur Pferd und Wagen waren in Rostock lange Zeit die hauptsächlichen Transportmittel, sondern auch kräftige Männer, nach denen die Trägerstraße benannt wurde. Um 1800 verzeichnete die Seestadt 44 Träger- und 14 Karrenfahrerbetriebe, beide Betriebsarten arbeiteten mit Gesellen, Gehilfen und Tagelöhnern und meldeten immer wieder Bedarf an Riemerwaren an. Die Träger und Karrenfahrer transportierten die per Schiff eingetroffenen Waren in Körben auf dem Rücken oder auf den Schubkarren zu den Handelshäusern und Werkstätten auf zum Teil langen, unebenen Wegen in der Stadt. Zur Sicherung des Transports benutzte man neben Seilen bevorzugt lederne Halte- und Trageriemen der verschiedensten Art. Die Trägerarbeit war körperlich schwere Mannsarbeit. 
Unter den Riemern verschiedener Regionen, hauptsächlich unter den Gesellen, entstanden manche arge Zwistigkeiten. Zum einen gab es die Seestädter und zum anderen die Oberländer bzw. Landstädtern. Solche Unterscheidungen gab es ja ebenso bei den Böttchern, Drechslern oder Schmieden. Die Gesellen der Seestädter und Oberländer pflegten regionale Bräuche, die sich teilweise gegeneinander richteten, die mitunter soweit entarteten, dass die Gesellen nicht miteinander Arbeiten wollten. Selbst innerhalb Mecklenburgs spitzte sich die Konkurrenz zwischen beiden Handwerkslagern derart zu, dass Rostock und Wismar geschütztes „seestädtisches“ Territorium waren und ab dem kleinen Städtchen Laage die Oberstädter sich ansiedelten. Erstmals schritt die mecklenburgische Regierung am 16. Juli 1785 gegen den unlauteren Trubel und Handwerksmissbrauch ein und Verbot die Unterscheidung zwischen See- und Landstädtern bei den Riemern. Ähnliche Verordnungen wurden zu dieser Zeit auch in den Städten Hamburg und Lübeck erlassen. Nach einigen Jahren hatten die Gesellen das staatliche Verbot wieder vergessen und den Handwerksfrieden langsam aber sicher heruntergespült.

 1820 loderte diese alte Auseinandersetzung erneut auf. Es wurde öffentlich von den Altmeistern beklagt, dass in Bützow und Röbel keine Riemer aus Rostock aufgenommen wurden. Der Zwist zwischen Gesellen der Landstädter und Seestädter wurde tatkräftig ausgetragen, so mancher Riemer trug tüchtige Blessuren davon - zu Ehren seiner Handwerkerriege. Herzog Friedrich Franz schritt energisch gegen die Spaltung des Handwerks ein und erneuerte am 5. Mai 1820 das Verbot zu Unterscheidung der Gesellen in „Land- und Seestädter“.
Die Lehrzeit bei den Riemern betrug mindestens 3 Jahre, von den Gesellen forderte man 4 absolvierte Wanderjahre, bevor die jungen Leute Anwartschaft auf den Meistertitel anmelden konnten. Besonders empfohlene Wanderorte Anfang 19. Jahrhundert mit bester Riemerausbildung waren: Barby, Berlin, Bremen, Frankfurt a. M., Hamburg, Herrenhut, Kassel, Lübeck, München, Neudietendorf, Paris, Prag, Straßburg und Wien. Als Meisterstück mussten die Riemer Prachtgeschirr für Pferde und einen Zaum nebst dem Vorder- und Hinterzeug zu einem Sattel anfertigen. 
1854 gab es im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin insgesamt 308 Riemer und Sattler.
Als Rostock 1881 die Pferdebahn als neuartiges städtisches Nahverkehrsmittel einrichtete, konnten die Riemer der Stadt davon etwa bis 1904 (ab da elektrisch) gut profitieren. Für den „tierischen“ Antrieb lieferten die Riemer das Geschirr, Zügel, Peitsche und verdienten später an Reparaturarbeiten ihr Geld. Sie sorgten mit ihrem Handwerksprodukt dafür, dass die Personenwagen von den Pferden von Haltestelle zu Haltestelle gezogen werden konnte.
 Auch die Verbesserung des mechanischen Antriebs mit der Dampfmaschine in der Industrie und Landwirtschaft im 19. Jahrhundert war zunächst ein Gewinn für das Riemerhandwerk. Zur Kraftübertragung auf die verschiedenen Maschinenteile wurden feste Riemen benötigt, die das Handwerk als besondere Leistung liefern konnte.

 Mit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es einen entscheidenden Bruch in der Entwicklung für das Riemerhandwerk. Durch die Elektrifizierung übernahm die elektrische Maschine in nie gekanntem Umfang menschliche Arbeit, das traditionelle Riemerhandwerk konnte mit der Industrialisierung nicht Schritt halten. Im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin entstand die erste „Ledertreibriemenfabrikation“. 1907 bestanden noch im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin insgesamt 359 Gewerbebetriebe der Riemer und Sattler zusammen mit 660 Beschäftigten. 


Autorin: Hannelore Kuna

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