Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Sandfahrer, Sandträger
Im alten Warnemünde des 19. Jahrhunderts lebten und arbeiteten Lotsen, Fischer, Schiffer, Matrosen sowie Sandfahrer und Sandträger. Das Geschäft mit dem feinen Strandsand war durchaus wirtschaftlich einträglich.
Für die Segelschifffahrt auf hoher See war die Mitnahme von Ballast bei Leerfahrten und leichten Frachten eine lebenswichtige und daher nach Richtlinien einzuhaltende Angelegenheit.
Die hölzernen Schiffe waren von zu leichtem Gewicht gebaut, um den starken Winden und Stürmen der See standzuhalten. Richtig geladener und verstauter Ballast ließ die Schiffe schnell im Wasser gleiten und gab ihnen die nötige Stabilität gegen den Wind in den Segeln. Mit geschickt verteilter Beschwerung konnte sich ein im Sturm geneigtes Schiff schnell wiederaufrichten. Auf die ausgeglichene „Stauung“ von Gütern und der Ladung insgesamt kam es daher an, um erfolgreich im Heimathafen zu landen, die Seefahrer sprachen auch von der „Kunst“ der Güterverstauung.
Jedes Jahr im März erwachte reges und geschäftiges Leben im Warnemünder See- und im Rostocker Stadthafen, wenn die Schifffahrt nach der Winterpause wieder einsetzte. Etwa 40-50 Frachtsegler wurden oft zu gleicher Zeit segelfertig gemacht und mit verschiedenen Waren oder Ballast beladen. Die Reisen von Rostocker Schiffen zu Mitte des 19. Jahrhunderts gingen meist nach Antwerpen, Amsterdam, in das nördliche Eismeer, nach Riga, Archangelsk oder auch nach Konstantinopel. Oft führten die Ruten dort weiter in das Schwarze Meer nach Odessa und Alexandrien, selten fuhren die Seeleute nach Amerika.
Nicht immer gelang es den Reedern in Rostock Handelsfracht zu chartern. Ja, ein Großteil der Schiffe konnte nicht mal zur Hälfte beladen werden oder ging nur mit leerer Fracht und Ballast in die hohe See. Dann suchten sie sich erst in den fremden Häfen, besonders in russischen Häfen, oft tagelang die notwendige Fracht und damit einen Verdienst.
1841 kamen 241 Frachtensegler mit Ballast in Warnemünde an. 1861 liefen in Warnemünde insgesamt 699 Schiffe (darunter 98 Rostocker) ein, ausgegangen waren 671 Schiffe. Von den ausgelaufenen Segelschiffen luden in Warnemünde 371 Schiffe Ballast.
Als Ballast wurden in der Segelschifffahrt hauptsächlich Steine und Sand verwendet. Viele Frachtschiffe aus den Nordländern führten Steine mit sich, die sie in Warnemünde oder im Stadthafen von Rostock auch gelegentlich entluden, wenn eine schwere Rückfracht mit Getreide oder anderen Gütern vereinbart war. Zum Be- und Entladen von Ballast befanden sich in den Häfen ausgewiesene Plätze, wobei „Am Strande“ zu Rostock der Ballastplatz neben den Schiffsbaustellen und Löschplätzen lag. Den fremden Schiffern stand das Recht zu, die Steine zu verkaufen oder an andere Schiffe weiterzugeben. Blieb es dagegen bei der bloßen Löschung von Ballast wurden die Steine nach 14 Tagen zum Stadteigentum erklärt.
Auf dem Rostocker Ballastplatz konnte sich dem Naturforscher manche interessante Entdeckung zeigen. Aus Island gelangten z. B. Basaltsteine vulkanischen Ursprungs her. Um 1860 entdeckten Warnemünder Fischer in der Bucht zwischen Warnemünde und der Landspitze bei Dietrichshagen ein versunkenes Wrack mit Hunderten von Mühlensteinen aus Granit. Die Steine ließen sich nach erfolgreicher Bergung gut zu Ballast verkaufen. Vereinzelt landeten die runden Mühlensteine auch in den Warnemünder Gärten.
Mitunter führten Schiffe die auf der Hin- und Rückfahrt leichtgewichtige Waren transportierten eine Masse von Roheisen zum Beschweren mit, das sie dann nicht entluden. Die mecklenburgische Gesetzgebung verlangte von den Schiffsführern, dass sie bei Ein- und Ausfuhr in Rostock das Ballast-Eisen amtlich auf Meldezetteln unter dem Titel „Mund- und Schiffsvorräte“ registrieren ließen, um keinen Zollschwindel zuzulassen.
Innerhalb des Hafens Warnemünde und des Stromgebietes zwischen Warnemünde und Rostock durfte laut Hafenordnung kein Ballast, kein Sand und erst recht nicht Steine und Eisen ausgeworfen werden, dass galt bei Strafe von 25 Reichstalern. Über die Einhaltung der Verordnung hatten die Lotsen als „Ballastwächter“ zu sorgen.
Nach der Volkszählung von 1819 wurde das Ballastgeschäft in Warnemünde überwiegend von Frauen als so bezeichnete Sandfahrer und Sandträger im Alter von 14 bis etwa 50 Jahren aufgeführt. Als Sandträgerinnen wies die Volkszählung 1819 ungefähr 33 Warnemünder Frauen auf. Junge Mädchen erhielten nach der Konfirmation und dem Schulabschluss einen „Juggert, das war ein festes Mieder mit Schoß, welches sie beim Ballasttragen angelegten. Andere berufliche Arbeit gab es für sie als Dienst- und Hausmädchen, vereinzelt als Gastwirtin, Lotse und 2 weibliche Matrosen wurden aufgeführt. Die meisten Frauen blieben jedoch ohne Beruf und Gewerbe, sie wurden traditionell als Haus- und Ehefrauen in der Statistik gezählt.
Die Liste der Volkszählung von 1819 führte als Sandfahrerinnen in Warnemünde auf: Magdal Borgwardt, Anna Evers, Margaretha Evers, Maria Evers, Anna Margar Holst, Catharina Peters, Margaretha Wegener und Catharina Wegner. Diese Sandfahrerinnen beförderten feinen Strandsand nicht nur zum Beladen der Schiffe auf der Reede, sondern auch zum Verkauf auf den Rostocker Markt. Denn Sand war ein begehrtes heimisches Baumaterial und der feine Sand diente insbesondere für den Innenputz der Häuser. Sehr früh am Morgen fuhren die Jollen mit vollen Sandladungen nach Rostock ab, um rechtzeitig den Marktbeginn um 8 Uhr zu erreichen.
Im Rostocker Hafen war für das Ballastwesen der Hafenmeister zuständig, der ebenso wie der Vogt zu Warnemünde Arbeitskräfte zur Beladung bestellte und sie vom Ballastgeld auszahlte. Jeder Kapitän, der Ballast für sein Schiff brauchte, musste sich in Warnemünde beim Vogt melden, einen Schein ausfüllen und das Ballastgeld für die zu leistende Arbeit im Voraus entrichten. Davon erhielten nach geltendem Tarif auch der Vogt und sein Hegediener (Gehilfe) einen Anteil, von ihm wurden die Sandfahrer und Sandträger mit der Arbeit beauftragt und entlohnt.
Die Warnemünder Sandträgerinnen leisteten körperliche harte Arbeit. Sie schleppten schwere, mit feinem Strandsand gefüllte Leinensäcke auf die Schiffe am Bollwerk und zu den Landungsbrücken. Teils schaufelten sie Sand und Kies von den Wagen, oder sie beluden den untersten Laderaum des Schiffs. Die Beladung auf der Reede musste von einem Ballastwächter kontrolliert werden, ebenso die „Versegelung“ von nicht mehr benötigtem Sand (Löschung) auf See. Viele Befrachtungen der Schiffe begannen mit der Einladung von Ballast, der dann mit einer Plane oder Brettern abgedeckt wurde, um darauf beispielsweise lose Getreideladung aufzunehmen. Die Löschung erfolgte in umgekehrter Reihenfolge.
Eine Richtlinie war das Vorschiff und Achterschiff möglichst gleich belastet wurden, um eine günstige Wasserlinie halten zu können. Zum Austarieren führten die Schiffe meist beweglichen Ballast in Tonnen, gefüllt mit Blei oder Eisen, mit sich.
Die laufend erfolgten Revisionen der Rostocker Hafen- und Schiffsordnung durch Rat und Gewett seit 1804 bis zu Mitte des 19. Jahrhunderts zeigten, dass am Ende das Ballastgeschäft eine Wandlung genommen hatte. In Warnemünde mussten ausgewählte arbeitsfähige Einwohner gegen Entlohnung die Beladung vornehmen. Auf Befehl des Vogts sagte der Hegediener an wenn ein Schiff Ballast nehmen wollte. In festgelegter Reihenfolge führten die Leute ihren Einsatz durch und wofür sie ausbezahlt wurden. Das Sandtragen wurde einerseits eine Bürger-Pflicht, um reibungslos die Schifffahrt zu gewährleisten, und erwies sich andererseits als ein durchaus begehrter Job. War ein Warnemünder wegen zufälliger Abwesenheit in der Reihenfolge übergangen worden, wurde er das nächste Mal bedacht, um Unruhen zwischen den Leuten zu vermeiden.
Über die Ballastaufnahme der Schiffe wurde viel überliefert, denn es ging um das Überleben von Schiffsbesatzungen und Schiffen, doch letztlich konnte das angemessene Gewicht eines Schiffes nicht immer vor einem Seeunglück schützen. Glück gehörte mitunter auch dazu.
Die Rigaischen Blätter“ meldeten: „In der Nacht auf den 22. September 1867 strandete unweit Klein-Irben, an der Windauschen Küste, die Mecklenburgische Brigg „Eupbrosyne“, Luther, von Rostock nach Riga in Ballast bestimmt; Mannschaft gerettet.“
Autorin: Hannelore Kuna