Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Schneider

Schneider


Ursprünglich war das Schneidern hauswirtschaftliche Tätigkeit und vor allem Frauenarbeit. Selbst deutsche Fürstinnen schnitten ihren Stoff zu und ließen die Dienerinnen nähen und die Mönche in den Klöstern erledigten diese Arbeit ebenso. Seitdem 12. und 13. Jahrhundert wuchs der Kleiderbedarf in den Städten und es bildete sich ein zünftiges Gewerbe der Männer heraus.

 Der erste Beleg für einen Schneider stammt aus Hamburg aus dem Jahr 1152. In Rostock gab es nach den ältesten Stadtbüchern zwischen 1258 und 1288 drei Alt- und Flickschneider. Die Kleidung blieb im 12. und 13. Jahr in den einfachen Formen von Tunika und Mänteln und mancher Orts wurden die Stoffe vielfältiger und farbiger. Mit dem Erstarken des Bürgertums im 14. und 15. Jahrhundert wurden die alten Kleidermoden in Farben und Formen durchbrochen und im wahrsten Sinne des Wortes galt „Kleider machen Leute“ in den Hansestädten.

 Das Handwerk der Schneider in Rostock entwickelte sich zu einem überaus angesehenen Gewerk. Ein Schneideramt bestand seit etwa 1270, jedoch hat sich eine frühe Handwerksrolle nicht erhalten. Im Jahr 1325 errichteten die Schneider in Braunschweig nachweislich ihr Amt und die erste Schneiderrolle von Lübeck stammt von 1370. Etwa 1480 zählte das Rostocker Schneideramt 15 Meister. Von Anfang an besaßen die Rostocker Schneider nicht das Recht mit Rohstoffen zu handeln. Sämtliche Stoffe mussten bei den Gewandschneidern (Tuchhändlern) gekauft wurden oder was häufig der Fall war, der Auftraggeber lieferte persönlich Stoffe und Zubehör wie Knöpfe, Bänder usw. mit.

 Der Schneidermeister arbeitete hauptsächlich auf individuelle Bestellung der Kunden, entweder für Manns- oder Frauenpersonen, meist auch für beiderlei. Im 18. Jahrhundert wurde es allgemein üblich, dass aus Gründen des Anstands und der Moral die Frauenkleider von Frauen angefertigt wurden. Die qualifizierteste Arbeit war unbestritten der Stoffzuschnitt nach den Körpermaßen, denn damit zeigte sich, ob der Meister sein Handwerk verstand, worauf ebenso die Berufsbezeichnung hinweist.

 In Mecklenburg nannte man die Handwerker bis Mitte 16. Jahrhundert auch Schröder und Snider, in Bezeichnungen aus der mittelhochdeutschen Sprache (etwa 1050-1350) und wovon Snider in das Plattdeutsche und in die englische Sprache eingegangen ist.

 Der genaue Zuschnitt des Stoffes verlangte Augenmaß sowie einige Fingerfertigkeit, denn war der Stoff einmal verdorben, konnte der Meister dafür vor dem Rat verklagt werden und hatte eine entsprechende Strafe zu zahlen. Einzige Hilfsmittel der Schneider waren Schnüre, Papierstreifen und Zuschneideschere, die ein wichtiges Symbol des Handwerks wurde.

 Kein Meister überließ je dem Gesellen oder gar dem Jungen das Zuschneiden von Stoffen. Wobei es durchaus üblich war, dass der Meister in seiner Werkstatt bevorzugt Frauen, auch Soldatenfrauen oder Dirnen (junge Mädchen) beschäftigte, worüber es oftmals zum lauten Unmut vor dem Rat durch die Gesellen kam. Bei größeren Auftragsarbeiten für Hochzeiten oder Trauerfeierlichkeiten durfte der Meister zusätzliche Hilfskräfte im Tagelohn aufnehmen.

 Nach dem Zuschneiden begann die Arbeit des Nähens. Mit Stichen durch Nadel mit Faden wurden die einzelnen Stoffteile zusammengefügt, Schnittkanten befestigt und Verschlüsse angebracht. Nähnadel und Fingerhut waren hierfür wichtige Schneiderutensilien. Die Nähnadel bezog der Meister von nebenan vom Nadler. Im Mittelalter war die Nähnadel noch recht unvollkommen, grob und nicht rostfrei, dementsprechend konnten ordentliche Nähte nur durch saubere Arbeit erreicht werden.

 Als Nähfaden dienten Leinengarn und Wolle, in der Neuzeit kam der gezwirnte Baumwoll- oder Seidenfaden in Mode. Schneiderarbeit war immer eine Einzelanfertigung, sodass die Produktivität begrenzt blieb und bei dicken Stoffen war die Verarbeitung auf Dauer körperlich anstrengend. Sehr dicke Stoffe verarbeiteten in der Regel nur Männer und nur die Herren pflegten den typischen Schneidersitz, das war eine Arbeitshaltung im Sitzen mit überkreuzten Beinen.

 Den Fingerhut brauchte der Schneider zum Selbstschutz vor Stichen in den Mittelfinger der rechten Hand, damit wurde auch die Kraft auf die Nadel durch den Stoff besser bewältigt. Die besten Fingerhüte fertigten die Drechsler, Knochenschnitzer oder Gelbgießer. Neben dem geschlossenen Fingerhut zum Überstülpen gab es auch einen offenen Nähring, der die Fingerspitzen freiließ und vor allem aus der Herrenschneiderei bekannt war.

 Zur letztendlichen Fertigstellung der Hemden, Kleider oder Hosen benutzte der Schneider seit dem späten Mittelalter das Bügeleisen, um den Stoff und insbesondere die Nähte auszubügeln. In der Schneiderei verwendete man Hohl- und Volleisen aus Guss- oder Schmiedeeisen, später auch aus Stahl. Hohleisen füllte der Meister mit glühenden Holzkohlen und Volleisen erwärmte er im Ofen. Im plattdeutschen Volksmund hieß das Bügeleisen auch scherzhaft „Snider-brade“, weil dem Glätteisen oft ein stoffversengter Geruch anhaftete. Nur ein geglättetes Kleidungsstück wurde dem Käufer präsentiert, denn es immer der Anspruch dass eine zweckdienliche Kleidung nicht nur solide, sondern auch schön in der Verarbeitung sein sollte.

 Das Schneiderhandwerk verlor in der Neuzeit gegenüber dem Spätmittelalter an Status. Zwar wechselten die Moden so rasch und so grundlegend wie noch nie in der Kleidungsgeschichte, doch nicht alle Leute in den Städten konnten davon profitieren. Staats- und Ratspolitik bestimmten, was die Stadtbürger nach ihrer sozialen Stellung und dem Ansehen in der Gemeinschaft an Kleidung tragen durften und erst später entschied der Geldbeutel der Leute darüber.

 Der Rat zu Rostock erließ 1576 eine Polizeiordnung mit Ständeordnung, worauf erstmals 1587 eine Kleiderordnung folgte und 1591 eine Hochzeitsordnung festgelegt wurde. 1617 wurde sie revidiert, womit die Kleidungsbedürfnisse für lange Zeit in drei Stände eingeteilt und ein Vergehen dagegen mit strenger Strafe geahndet wurde. Das bedeutete zugleich auch eine äußerliche Abgrenzung der Stände, die ebenso das soziale Verhalten untereinander regelte. Was die „edlen Geschlechter und Ratsfamilien“ tragen durften, kam den „vornehmen Bürgern“ nur noch teilweise und den „niederen gemeinen Ständen“ nicht mehr zu.

 Der ehrbare Rat rückte mehrfach dem „Kleiderteufel“ mit seinen modischen Neuerungen zu Leibe. Für den hohen Stand wurden z. B. die Stoffmengen festgesetzt, um eine Verschwendung von Textilien einzugrenzen. Den anteilig meisten Stoff zu einer Hose, nämlich 12 Ellen Leinwand, genehmigte die Rostocker Ordnung den adligen und den Ratsherren. Ebenso waren die Farben der Kleider und die Art der Gewebe und Musterung, ob z. B. gestreift oder kariert, festgelegt. Alle diese Regeln betrafen folglich die Arbeit vieler einzelner Gewerke, neben den Schneidern die Woll- und Leinwandweber, die Färber, den Schuster usw. Die restriktiven Maßnahmen schädigten das Schneidergewerk gelegentlich und doch ließen sich die Leute allerlei einfallen, um sich modische Bedürfnisse zu erfüllen. Allerdings begann sich die Freiheit der Kleidung erst nach der Französischen Revolution durchzusetzen.

 Die Werkzeugkiste der Schneiderei (Schere, Nadel, Bügeleisen) blieb bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts beinahe unverändert. Das Schneiderhandwerk kam mit wenig Kapital aus und setzte sich wohl wie kaum ein anderes Gewerk der Konkurrenz durch häusliche Arbeit aus. Mit Geschick und Erfahrung war das Handwerk insbesondere von Mädchen und Frauen erlernbar. Keine noch so strengen Zunftordnungen konnten den Frauenzimmern das Werkeln mit Faden und Nadel verbieten. So war den „Frauenspersonen“ erlaubt, welche sich auf das Nähen von Frauenkleidern verstanden, auf Bestellung zu arbeiten. Nur durften sie mit dem Genähten auf dem Markt nicht handeln.

 Vom Schneiderhandwerk ausgeschlossen blieben die Weißnäherinnen, das waren Wäscheschneiderinnen, die Bett-, Tisch- und Unterwäsche und Leinenhosen zumeist in Hausarbeit nähten.

 Die Schneider waren aber meist pfiffige Kerle und versuchten sich für die Sicherung des Unterhalts auch schon mal in anderen Arbeitsbereichen. So mancher versuchte sich in der Bildung und eröffnete neben dem Handwerk in seinem Haus eine kleine Schule zum Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen. Diese sogenannten Winkelschulen und Schulhalter (1817 verzeichnete Rostock 10 Schulhalter) waren ein Dorn in den Augen der hohen Ratsherren zu Rostock. Doch man musste die Winkelschulen dulden, solange die Ratsschule oder eine andere Schule nicht alle armen Kinder aufnahm.   

 1783 rangierten die Schneider mit 58 Meistern hinter den Schustern in der Betriebszahl an 2. Stelle, 1817 gab es 89 Schneider. 1872 zählte Rostock 137 Herrenschneider und 44 Schneiderinnen.

 Nach Einführung der Gewerbefreiheit 1869 gründete sich die Schneider-Innung per 18. März 1888 zu Rostock neu.

 Allerdings wurden Schneider in diesen Zeiten selten wohlhabend. Ausnahmen bildeten die Hofschneider, die speziell für die herzoglichen Familien und Höfe in Güstrow und Schwerin für hohen Lohn schneidern konnten. Besser erging es denjenigen Schneidern, die vom Militär, von den Ratsherren, durch die Kaufmannschaft oder vom Theater ausreichend Aufträge erhielten.

Obwohl viele Bürger im 18. und im 19. Jahrhundert diesen Beruf ausübten, gab es in Rostock unter den Schneidern etliche verarmte Existenzen. Im Vergleich zu anderen Handwerkern die wirtschaftlich ihren Unterhalt sichern konnten, gab es nicht wenige Schneider, die wie das „arme Schneiderlein“ lebten. Und wenn einer so arm wie das Schneiderlein war, sagte man im Volksmund; „drum drünk hei de Bottermelk ut’n Fingerhut“ (Wossidlo-Sammlung).   

 Doch blieb die Schneiderei in Mecklenburg auch nach der Erfindung der Nähmaschine und mit der einsetzenden fabrikmäßigen Textilproduktion eine Existenzgrundlage für viele Menschen. Nicht alle Modebedürfnisse ließen sich schon damals per Fließbandarbeit erfüllen. 1907 existierten im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 3685 Schneidermeisterbetriebe mit insgesamt 5911 Beschäftigten. 


Autorin: Hannelore Kuna

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