Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Segelmacher
Gerade im Sommer ist Segeln hauptsächlich als Freizeitsegeln angesagt, da gibt es sportliches Fahrtensegeln oder Regattasegeln, die Auswahl der sportlichen Betätigung zu Wasser ist groß. Nur eben geht es nicht ohne das berühmte weiße Segel, das ebenso eine Symbolkraft für Freiheit und Romantik auf dem Wasser signalisiert.
Früher dagegen ermöglichte das Segeln bis zum Aufkommen der Dampfschifffahrt Ende des 19. Jahrhunderts die hauptsächlichste Fortbewegungsart für Handel und Transport zwischen den fremden Ländern auf dem Wasserweg.
Segelmacherei und Reepschlägerei (Reifer) waren wichtige Zulieferergewerbe, solange Schiffe ausschließlich vom Wind angetrieben wurden. Im Durchschnitt arbeiteten in Rostock immer drei Segelmachereien mit wechselnder Anzahl an Gesellen und Burschen. Segelmacherweg, Bootsbauerweg und Blockmacherring erinnern an diese traditionellen maritimen Gewerbe, die in der Stadt ansässig waren und noch sind.
Die verschiedenen historischen Schiffstypen und Takelagen entstanden durch die zunehmende technische Entwicklung auf See, was sich nicht nur im Schiffsantrieb niederschlug. Die Anzahl und Form der Segel, die Besegelung, die Takelage samt Masten gaben neben der Zimmerung vielen Schiffstypen ihren Namen. Die früheren Rostocker Schiffe waren Hucker, Schoner und Galeassen, es folgten zeitlich die Briggen mit 2 Masten und Rahen an beiden Masten und bis Ende des 19. Jahrhunderts die dreimastigen Barken.
Um ein Schiff kostengünstig zu halten oder auch seetüchtig zu machen, takelte man nicht selten um. So wurden z. B. aus Barkschiffen dann Dreimastschoner usw. Bis heute gilt eine alte Regel: „Ohne Groß ist nichts los“, was so viel bedeutet wie: Ohne Großsegel kommt kein Boot auf Fahrt.
Wenn aber auf einer langen Seereise kein kräftiger Wind aufkam, der das Schiff seinem Ziel entgegenbrachte, dann nutzte auch keine noch so ausgeklügelte Takelage. Dann war Geduld von der Mannschaft gefordert oder die Ruder wurden eingesetzt, z. B. mit der Brigantine, während auf den Flüssen das Treideln, also Ziehen der Schiffe, Kähne und Prahme von Land aus einsetzte, um sicher in den Hafen zu kommen.
Über viele Jahrhunderte und Jahrzehnte waren nicht nur Kauffahrer-, Transport- und Reiseschiffe mit Segeln ausgestattet, sondern ebenso die Fischereifahrzeuge der Küstenfischer. In den küstennahen Bereichen der Ostsee, in den Bodden, am Salzhaff oder im Stettiner Haff, fischte man mit Segeln. Man betrieb intensiv die Zeesenfischerei mit Schleppnetzen bis schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Motorfischkutter und moderne Hochseefischerei bessere Fangerfolge erzielt wurden. Einzig im Wismarer Gebiet einschließlich der Insel Poel blieb man der alten Arbeitstradition der Segelfischer noch lange treu, 1977 wurden dort die letzten Erlaubnisscheine ausgegeben. Heute sieht man diese historischen Segler auf Regatten als Sportsboote oder in Häfen als Touristenattraktionen an. 1966 wurde das erste Zeesboot als Sportsboot registriert.
Ein Schiff zu bauen, gab immer vielen Leuten in der Stadt und aus dem Umland feste Arbeit und Brot. Die Schiffsbaukosten einer Bark von 380 Registertonnen um 1875 betrugen schätzungsweise 100.000 Mark. Über 50 Prozent davon erhielt der Schiffbaumeister für seine Handwerksdienste und die seiner Zimmerleute. Der Segelmachermeister hatte dafür etwa 30 Segel anzufertigen und bekam dafür rund 3.000 Mark (also etwa über 3 Prozent) bezahlt. Davon gingen die Materialkosten für das Segelleinen ab und der Tagelohn für die Gesellen. In Rostock verdiente der Segelmachergeselle etwas weniger als der Schiffszimmergeselle. Das lag u. a. daran, dass im Segelmacherhandwerk ganzjährig gearbeitet werden konnte und die Arbeitszeit im Schiffbau sich auf die Sommerzeit begrenzte.
Das Handwerk der Segelmacher besitzt eine lange Tradition in der Seestadt, denn seitdem die Menschen die Segelkunst beherrschten, brauchte man Segelmacher. Vom Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein waren Segelmacher gefragte Fachleute. Sie arbeiteten vor Ort, im Rostocker Hafen und selbst zu größeren Schiffsbesatzungen gehörte ein Segelmacher. Besonders nach Stürmen, die stets mit kräftigen Unwettern verbunden waren, hatte er alle Hände voll zu tun, um die zerfetzten Segel wieder seetauglich herzurichten. Segelmacherarbeit auf Fahrt war eine körperlich anstrenge Handarbeit, die oft unter sehr schwierigen Bedingungen zu bewerkstelligen war. Der Segelmacher nahm sein Kuhhorn, in dem die Nähnadeln im Talk steckten, fädelte starken Hanffaden ein und flickte die zerrissenen Stellen im Segeltuch.
In der langen Handwerksgeschichte hat sich die Technik des Segelmachens nur wenig verändert. Der Segelmacher arbeitete auch nach Einführung der Nähmaschine weiterhin mit Schere, Garn und Nadel. Der Anteil der Handarbeit blieb bis heute im Gewerbe hoch, da die Nähmaschine nur begrenzt flexibel einsetzbar ist.
Im 19. Jahrhundert besaßen die Segelmachermeister schon geräumige Werkstätten, in denen die verschiedenen Vor-, Haupt- und Hintersegel angefertigt wurden. Überwiegend wurde nach Bestellung vom Schiffbaumeister gearbeitet auf: Großsegel (Schönfahrersegel), Focksegel, Leesegel, Besamsegel und viele andere Segel. Im Detail beinhaltete die Arbeit den Zuschnitt der Stoffe und die Vernähung. Der Zuschnitt eines Segels dauerte mindestens 3-5 Stunden. Normierte, gültige Maße, Mustervorlagen oder gar einen Segelplan gab es anfangs noch nicht. Der Meister schnitt den Stoff nach den genauen Angaben des Schiffbaumeisters zu, die entsprechend des Schifftyps vermessen waren.
1861 entwickelten die Rostocker Segelmacher H. Gerdes, F. L. Hansen und H. J. Flinck eine Segelberechnung für eine Galeasse, mit den dazugehörigen Maßen für Masten, Spieren usw., was sich insgesamt als Arbeitserleichterung und Zeitersparnis erwies. Zum Zuschneiden brauchte der Segelmacher eine große Auflagefläche, um die schwere Tuchbahn ausrollen zu können. Jedes fertige Segel setzte sich im Endergebnis aus einzelnen Segeltuchstoffbahnen zusammen, deren Länge die Tiefe und deren Anzahl die Breite des Segels ausmachte. Am äußeren Rand wurde das Segel ringsherum mit einem starken Saum und darin eingelegtem Tau eingefasst, das Tau wiederum diente zur Befestigung und zum Führen des Segels an Bord.
Die Form der Segel konnte dreieckig oder bisweilen abgestumpft, trapezförmig und viereckig (Spietsegel) sein. Fast alle Segel mit denen man ab mittleren frischen Wind fuhr, wurden zu Reffsegeln gearbeitet, die durch Einbinden gegen Sturm kürzer gemacht werden konnten. Dafür nähte der Segelmacher quer über dem Segel das Reffband ein. Zum Nähen verwendete er eine dreieckige, eiserne Nähnadel, die ihm der Nadler eigens anfertigte und damit seine Hände von dieser derben Näharbeit geschützt wurden, benutzte er dabei Handschuhe. Bei alledem war sehr wichtig, dass das feste Tuch schadlos blieb.
Die Qualität des Segels hing natürlich schon vom verwendeten Stoffmaterial ab. Zum Segeltuch eigneten sich ausschließlich dichte Gewebe aus starkem gedrehten oder häufig gezwirnten Garn aus Hanf, das mitunter auch vermischt war mit Flachsgarn (Leinen). Russland, Holland, Frankreich und einige Gebiete in Deutschland fertigten größere Mengen davon an. Die besten Qualitäten kamen seiner Zeit unbestritten aus Holland, wo es unter der Bezeichnung Cannevas (Canvas) bekannt war. Das Segeltuch wurde gewöhnlich in einer Breite von 0,50 cm und einer Länge von 15 Metern geliefert.
Während an der Nord- und Ostseeküste hanfene und leinene Segel traditionell waren, befuhren im 18. Jahrhundert amerikanische und mexikanische Kaufleute die Meere mit Baumwollsegeln. Die Baumwolle wurde bei der Verarbeitung zu Segeltuch nie geschlichtet, wodurch das Segeltuch länger der Vermoderung durch Feuchtigkeit standhielt.
Bei der Segeltuchfertigung gab es immer wieder allerhand Erfindungen. 1830 wurde zu Greenock in Schottland von drei Segelmachern für die Hand- und mechanischen Webstühle die technische Erfindung gemacht, dass sich die Fäden diagonal kreuzen können. In gewöhnlicher Webart kreuzen sich die Fäden im rechten Winkel. Mit der neuen Webtechnik wurde das Segeltuch reißfester, denn die Kraft des Windes greift zuerst am Segeltuch von den Ecken an. Erfinderisch zeigten sich auch die Engländer. 1832 kam ein Patent in Umlauf, nach dessen Verfahren Segeltuch aus Kuh- und Ochsenhaaren gewebt wurde.
In alle dem standen auch die einheimischen Zeesen-Fischer zwischen Wismar und Rügen nicht nach, die ihre großen Segel mit allerhand „geheimen“ Mitteln länger haltbar machten. Ockerfarbe, Holzteer, Rindertalg, Pferdefett und Leinöl gehörten zu einer Mischung, mit der die Segel alle zwei Jahre kräftig imprägniert wurden.
l907 arbeiteten nach amtlicher Statistik im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 108 Segelmacherbetriebe und Reepschlägereien mit etwa 180 Beschäftigten.
Die heutige Arbeit eines Segelmachers beschränkt sich nicht mehr nur auf das Zuschneiden, Nähen und Reparieren von Segeln. Die Segelmacher haben ihren Arbeitsbereich der Entwicklung der Zeit entsprechend erweitert, dabei ist die Arbeit mit der Nadel, ob mit der Hand oder maschinell geblieben. Die kleine Zunft der rund 150 Segelmacher in Deutschland stellt inzwischen auch Zelte, Planen für Lastkraftwagen, Markisen, Sonnenschirme, Persenninge, Eckpolster für Boxringe und Werbeplanen her. Die bundesweit einzige Berufsschule für Segelmacherlehrlinge steht in der Ostsee-Stadt Travemünde und die ist ja bekanntlich nicht weit für´n Rostocker Jungen.
Autorin: Hannelore Kuna