Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Der Waagenbauer oder Waagenmacher war ein wichtiger Handwerker, denn er fertigte Waagen verschiedenster Art von groß bis klein in Holz und Metall her. Seine Wiegestücke stellte er streng nach gesetzlichen Vorgaben für sämtliche Gewichte her.
Waagen waren von je her wichtige Messgeräte zur Bestimmung einer Masse, die üblicherweise über die Gewichtskraft erfolgte. Erstmals wurde ein Waagebalken mit Seil und Gewichtsschalen im alten Ägypten angewandt. 1669 wurde in Frankreich durch de Roberval die Tafelwaage erfunden. Damit beeinflusste die Position der zu wiegenden Last auf den Waagschalen das Ergebnis nicht mehr. 1763 konstruierte der schwäbische Pfarrer Philipp Matthäus Hahn eine Neigungswaage mit direkter Gewichtsanzeige. Dezimal- und Küchenwaagen entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute erleichtern elektronische Waagen die Arbeit und schaffen eine viel größere Genauigkeit.
Für das Handwerk allgemein und für ein florierendes Wirtschaftsleben in Rostock war eine ordentliche Stadtwaage von großer Bedeutung. Sie sicherte unter allen Handel treibenden Leuten notwendiges Recht und Ordnung in der Stadt, daher lag die Waage in der Obhut des Rats. Die Ratsherren ließen eine Stadtwaage erbauen, die regelmäßig geeicht, das gültige und geltende Gewicht für den Hauptteil aller wägbaren Waren garantierte. Für den regulären Ablauf war ein besoldeter „Waagherr“ zuständig, der für die Benutzung die Gebühren einnahm und verwaltete und der zugleich dem Rat in allen diesen Angelegenheiten rechenschaftspflichtig war. Nach dem Standort dieser Stadtwaage wurde die Straße „An der Wage“ benannt, die erstmals 1294 urkundlich erwähnt und im 2. Weltkrieg mit großen Teilen des alten Stadtzentrums zerstört wurde.
Mit dem Wiegen und den Waagen war es eine schwierige Angelegenheit, denn Maße, Münzen und Gewichte waren in Deutschland bis nach 1870 nicht einheitlich, sie konnten in den einzelnen Territorialstaaten und wiederum innerhalb eines Landes von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein. Was für Rostock galt, musste bereits in Schwerin oder in Hamburg nicht mehr gelten. Der Waagenmacher musste sich in dieser Maß- und Gewichte-Vielfalt auskennen und in den Umrechnungsarten sicher sein.
Allein mit der Bezahlung des Geldes war es eine komplizierte Sache. Der Wert der Geldstücke ergab sich bis nach dem 1. Weltkrieg aus seinem Metallwert, ausgenommen von dieser Reglung war das Kleingeld. In geschäftlichen Dingen waren die Händler gut beraten, wenn fremde Münzen mit der kleinen Münzwaage nachwogen wurden, um festzustellen, ob das angegebene Sollgewicht mit dem gewogenen Gewicht (als Probe) übereinstimmte. Aus diesem Grund trugen reisende Geldwechsler und Kaufleute meist ihre Waage in einer hölzernen Lade oder einem Lederetui bei sich. Eine solche gut geeichte Waage bestand aus zwei Schalen, Kettchen, Balken mit Aufhänger und den einzelnen Gewichten, die zusammen kompakt verstaut waren. Außerdem gab es auch die stationäre Münzwaage, die sogenannte Aufzieh-Waage. Sie war auf einem Holzkasten montiert und in einer Schublade darunter lagen die einzelnen Gewichte.
Um den auftretenden Unterschieden von Ort zu Ort gerecht zu werden, was bei dem Gewichtsmaß enorm war, gab es immer wieder städtische Verordnungen. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts verordnete Rostock in der üblichen Zentner- und Pfundrechnung zweierlei Arten; das Stadtgewicht oder Waagengewicht und das Kramergewicht. Das erste Gewicht galt für die Bäcker, Fleischer, für den Marktverkauf und alle größeren Handelswaren. Das zweite Gewicht galt für kleinere und feinere Waren der Händler und Krämer wie für Gewürze, Seide usw. Im Vergleich zwischen beiden Gewichten wog das Rostocker Stadtgewicht etwa 5 Prozent mehr als das Kramergewicht. Ein Pfund Brot war also um 5 Prozent schwerer als ein Pfund Kräuter, Nelken, Pfeffer oder Kaffee u. a.
Das Gold- und Silbergewicht im Handwerk für Schmuck und Pokale wurde hier nach der Kölnischen Mark bemessen. Für Arzneien galt das Apothekergewicht der Nürnbergschen Taxe; die Apothekerwaage war nach Unzen- und Lothmaß ausgelegt.
Außer den verschiedensten Gewichtsmaßen spielten in Mecklenburg bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Hohlmaße eine besondere Rolle, die aber nicht mehr das Arbeitsgebiet des Waagenmachers tangierten. Denn die Größenmessung erfolgte in gestempelten, geeichten Gefäßen und Säcken für Milch, Bier, Wein, Branntwein und Getreide.
In Rostock waren für Flüssigkeiten Ohm, Biertonne und Pott und für Schüttgüter das sogenannte Fruchtmaß mit Last und Scheffel zugelassen. Für all diese Maße entschied das Volumen, das ein Behältnis bis zum Eich-Strich aufnahm. Diese Hohl- Maßgefäße fertigten verschiedene Gewerke wie Gold- und Silberschmiede, Kupferschmiede, Gelbgießer, Zinngießer, Töpfer, Drechsler und Böttcher.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts zählten zu diesen mecklenburgischen Maßen auch die Stempelsäcke, die im Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich 1755 für die Mühlen mit einem Inhalt von einem Scheffel eingeführt wurden: Die Stempelung der Säcke „soll in Gegenwart des Steuereinnehmers geschehen, der Stempel hat an der Stempelnaht zu stehen; zu den Säcken darf kein gekrimptes, gekochtes, gewalktes Leinen genommen werden, auch der Saum nicht breit und oft umgeschlagen werden, ebenso nicht die Seitennähte … usw.“
Etwa bis 1818 kauften sowohl die Bäcker als auch die Bürger zu Rostock ihr Mehl von den Mühlen nach gebräuchlichen alten Hohlmaßen wie Scheffel, Metze. Und selbst der Müller erhielt seinen Lohn nach der geltenden „Müller-Metze“, was ihm vertraglich zu gesichert wurde. Als das Gewichtmaß in den Mühlen eingeführt wurde, übte die mecklenburgische Gesetzgebung für die Durchsetzung Zwang aus. 1827 wurde ein solches „Wägegeschirr“ in der Mühle beschrieben: „ein eiserner Wagebalken von 5 Fuß Länge, 2 Tannenbretterne, mit Eisen beschlagene Schalen, woran 8 eiserne Ketten, jede zu 30 Gelenken, befindlich sind; die Gewichte hierzu sind 4 gegossene eiserne zu je 100 Pfund, ein gegossenes, eisernes zu 50, je ein gleiches zu 25, 10, 8, 5, 4, 3, 2, 1 Pfund.“
Die Leute in Stadt und Land gewöhnten sich nur schwer daran. Erst 1835 konnte ein Müller schreiben, dass sich „freiwilliges“ Wiegen in den Mühlen mehrte.
Als im 19. Jahrhundert die Getreidearten und einige andere Schüttgüter nach dem Gewicht gemessen wurden, brauchte man folglich mehr Waagen, was dem Handwerk der Waagenbauer Auftrieb gab. Arbeitete um 1800 ein Waagenmeister mit Gesellen in Rostock, gab es um 1850 vier Waagenfabriken in der Seestadt. Von einigen Meistern und Betrieben ab dieser Zeit sind kurze Nachrichten überliefert. Um 1820 arbeitete in Rostock der Meister Dolberg, der Name ist aus dem Markenzeichen einer noch existierenden Kornwaage entnommen.
Nach 1870 machte der Waagenbauer Richard Brunnée auch außerhalb Rostocks von sich Reden. Nach seiner Lehre bei einem gewissen Hannay in Rostock ging er von 1875-1879 nach Rotterdam und arbeitete dort als Geselle bei den Gebrüdern Camminade und Becker Sons. 1879-1881 arbeitete er in Göttingen bei Satorius und dann bei Voigt. 1881 wechselte er nach Utrecht zur Firma Olland und ging danach zu Leitz in Wetzlar. Um 1886 wurde er als Höhepunkt seiner Laufbahn selbst Eigentümer der Firma Voigt & Hochgesang ebenda in Wetzlar. Er beteiligte sich dann an den Weltausstellungen in Chicago 1893 und Paris 1900 mit Erfolg.
Vor dem 2. Weltkrieg gab es den Rostocker Waagenmacher Wilhelm Hasselfeldt und danach wurde Reinhold Moltrecht von 1947-49 in der Stadt und Umgebung bekannt. In den schweren Nachkriegsjahren von 1946-1957 stellte das Ingenieurbüro Carl Thümecke eine Vielfalt an Brücken-, Fuhrwerks-, Kraftfahrzeugs-, Laufgewichts- und Viehwaagen her. Von Ende der vierziger Jahre bis 1990 dominierte der VEB Metallverarbeitung Warnow mit wechselnder Firmenbezeichnung den Waagenbau.
Autorin: Hannelore Kuna