Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Weißgerber
Weißgerber gehörten zu dem Leder herstellendem Handwerk der feineren Art, sie verarbeiteten Tierhäute von Schafen, Ziegen und Wild zu hochwertigem hellen bis weißen Rohleder. Dieses weiche Leder war begehrt beim Beutler, Hutmacher, Riemenschneider, Täschner oder Schuhmacher, die nicht nur nützliche, sondern ebenso schöne Lederwaren herstellten.
Wie die Lohgerberei war das Weißgerberhandwerk in Rostock früh vorhanden, aber nicht so stark vertreten wie die rotgerbenden Amtskollegen. In Rostock sind Weißgerber erstmals im ältesten Stadtbuch von 1254-1274 genannt, von den Weißgerbern wurden 2 Meister verzeichnet. Im Jahr 1817 zählte man in Rostock 9 Weißgerbermeister.
Das Weißgerbergewerbe war in seiner Entwicklung stark von modischen Gebrauchsgegenständen abhängig. Die Meister verfertigten ihre Ledersorten, dünn gewalkt für feste Bekleidungsutensilien wie Beutel, Hosen, Riemen oder Taschen und ebenso entstand manch edle Schuhbekleidung. Ihre Formen waren einfach, aus der Natur nachempfunden und schlicht die Fertigstellung, dafür mussten glatte, saubere Nähte und Kanten gearbeitet werden können.
Ein Meister strich mit der Handfläche über das Leder, prüfte es mit festem Griff und erkannte genau die Qualität der Arbeit. Den Gürtlern war beispielsweise vorgeschrieben, nur Riemen aus Ziegenleder zu fertigen. Aber eine robuste Lederweste oder kräftige Lederhose waren nicht zu allen Zeiten modisch, sondern ein tagtägliches, weil strapazierfähiges Bekleidungsstück und ihr Erwerb war abhängig vom Geldbeutel. Einmal angeschafft hielt sie eine lange Zeit aus und bei manchem Mann wohl auch ein Leben lang.
Der steigende Ersatz von Bekleidungsleder durch neue Materialien wie leichte Wollstoffe, Barchent, Seide und schließlich durch gedruckte Kattune (Baumwollstoffe) führte im Laufe der Zeit zu verringertem Lederbedarf. Aber nicht nur dies. Die Weißgerber sahen sich über die Jahrhunderte hinweg der schleichenden Konkurrenz durch das Schuhmacherhandwerk ausgesetzt. Das führte wiederholt zu heftigen Beschwerden beim Rat, weil es sich stets um die Sicherung der Nahrung des Gewerks (wie es genannt wurde) handelte. Die Schuhmacher wollten das Oberleder oder Sohlleder vom Gerber zu mittelalterlichen Zeiten nicht einkaufen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen selbstständig herstellen. Erstmals im Jahr 1345, gestattete der Rat zu Rostock den „Schohmakere“, soviel Leder, wie sie zum eigenen Bedarf brauchten, selbst zu gerben, der Lederverkauf hingegen blieb bei entsprechender Strafe streng verboten.
Weißgerber bearbeiteten die Rohhäute durch Anwendung eines mineralischen Gerbverfahrens (entgegen der Lohgerberei). Weißgerber gerbten grundsätzlich mit Alaun, dass auf Leder eine adstringierende (zusammenziehende) und imprägnierende Wirkung besitzt und auf diese Art das Leder weich macht. Diese Mineralien ließen sich wirtschaftlich nicht einfach und preisgünstig beziehen, denn Alaun wurde ursprünglich aus Flandern, England und Schweden eingeführt. Im 15. Jahrhundert klagten Hansekaufleute über die gestiegenen Alaunpreise in Flandern. Zu Ende 16. Jahrhundert konnten mecklenburgische Händler einige Jahrzehnte lang landeseigene Alaunvorkommen bei Eldena nutzen.
Der Arbeitsprozess bei den Weißgerbern war zunächst ähnlich wie bei den Lohgerbern. Auch die Weißgerber begannen die Arbeit mit der Grobreinigung der Rohhäute, da die Felle von Ziegen und Schafen kleiner waren, konnte die Grobreinigung auch auf dem Gerberhof in eigens angelegten Bottichen (Küfen) erfolgen und so konnte auf einen Standort in Flussnähe durchaus verzichtet werden. Auch waren die Arbeitsstätten insgesamt nicht so aufwendig ausgestaltet wie bei anderen Berufskollegen. Deshalb konnten sich die mittelalterlichen Weißgerber auch in der östlichen Mittelstadt von Rostock ansiedeln, praktisch in reger Nachbarschaft mit den Leuten, worauf eine nach ihnen benannte Weißgerberstraße hinweist. Gerberhäuser boten neben dem Wohnraum für die Meisterfamilie alle Strukturen des Handwerks: Werkstatt, Lagerräume, Kellergewölbe, Galerie und Trockengeschoss.
Nach der Grobreinigung in Wasserbottichen erfolgte die körperlich anstrengende mechanische Reinigung. Der Kerbknecht entfernte mit einem Scherdegen die Haare und sammelte sie ein. Geraufte Schaf- und Ziegenwolle eigneten sich durchaus noch zum Weiterverkauf. Die Funktion der Schwitzkammer bei den Rotgerbern wurde hier durch den Äscher übernommen, die gereinigten Häute wurde in Gärung versetzt, um anschließend letzte anhaftende Reste entfernen zu können. Dafür füllte man die Bottiche zur Hälfte mit einer Lauge aus Pottasche oder gebranntem Kalk und legte die Häute hinein. Nach entsprechender Gärungszeit ließen sich die Reste vom Leder entfernen. Im 16. Jahrhundert wurde die Anzahl der Äscherbehälter für eine Weißgerberei begrenzt, um Überproduktionen zu vermeiden.
War dieser Arbeitsgang erledigt, begann das eigentliche Gerben der Häute in den Bottichen. Die Gerbknechte hoben die schweren Häute in eine Lauge von Kali-Alaun und weiteren Zutaten. Hier gab die gelblich-weiße Gerbsubstanz dem Handwerk nicht nur seinen Namen, sondern auch das Leder wurde abschließend weiß. Der Gerbprozess dauerte in abgedeckten Bottichen mehrere Wochen. Danach erfolgte abschließendes Waschen, Walken, um das Leder weich und geschmeidig zu erhalten. Die Ränder wurden in Form gebracht und geglättet.
Die Weißgerber brauchten entsprechend der kleineren Felle keine großen Produktionsvorrichtungen. Zum Walken der Felle wurde mit den Tuchmachern eine gemeinsame Walkmühle auf dem Mühlendamm betrieben. Die übrig gebliebene Restalaunlauge sammelte man in größeren Fasslatrinen, sie war noch wertvoll zum Wiesendüngen.
Generell besaßen die Weißgerber alleiniges Recht mit ihrem Leder zu handeln, hingegen wurde der Lederhandel den ihn nahe stehenden Gewerken wie den Schustern und Beutlern verboten. Das fertige Leder wurde zu den Märkten auf sogenannten Lederbänken feilgeboten, der Verkauf lag meist in der Hand der Meisterfrau.
Rostocker Weißgerbermeister fertigten Leder auch für den überregionalen Bedarf, wofür sie Messen in Braunschweig, Frankfurt a. Oder, Leipzig und Naumburg besuchten. Allerdings mussten sie dort gegen berühmte Ledersorten wie Lütticher Leder, Leipziger Pfundsleder oder russisches Juchtenleder konkurrieren. Nicht nur deswegen, ging kein Lederstück aus Rostock raus, was vorher nicht einer „Warenschau“, einer Produktprüfung durch die Altermänner des Gewerks bestand: „Weißgares Leder muss, von Rechts wegen, schön weiß, fein sanft, und auf der Narbe recht sauber seyn“.
Im Rohlederverkauf gab es auch Pfuscher und Scharlatane, die von den Gewerksleuten argwöhnisch verfolgt wurden, ja es gab eifrige Beschwerdeschreiben, die sich für die Ehrsamkeit und den guten Ruf des Handwerks einsetzten. Denn auch schlecht gearbeitetes Leder ließ sich leicht unter die Leute bringen, um gutes Geld zu machen. So mancher listige Lederhändler setzte sich dreist über die landesherrlichen Verbote hinweg, besonders Wilddiebe in der Rostocker Heide versuchten aus ihrer Beute neben dem Fleisch auch aus dem gegerbten Leder einen guten Taler herauszuschlagen.
Die Lehrzeit bei den Weißgerbern betrug im Mittelalter 2-3 Jahre, im Laufe der Neuzeit wurde sie auf 3-5 Jahre erhöht. Die Gesellen wurden in Wochenlohn beschäftigt, Stücklohn gab es erst im 18. Jahrhundert. Die Wanderschaft der Gesellen war auch bei den Weißgerbern ein altes handwerksmäßiges Ritual.
Zwischen 15. und 17. Jahrhundert bildeten sich bei den Weißgerbern vier Kreise mit unterschiedlichem Handwerksrecht und Brauchtum heraus. Da das Weißgerberhandwerk ein geschenktes Handwerk war, gewährte es den Gesellen eine finanzielle Unterstützung in der Wanderzeit. Als Orte und Meisterwerkstätten der besten Ausbildung wurden um 1840 Augsburg, Erlangen, Lübeck, Merseburg, Memmingen, Mühlhausen, Prag, Ulm oder Wien empfohlen.
Ende des 19. Jahrhunderts war das Weißgerberhandwerk schon stark rückläufig. 1872 arbeiteten in der Seestadt Rostock noch 9 Weißgerber und Handschuhmacher. Schäfer auf dem Lande übernahmen das Weißgerbergeschäft als Nebenerwerb, weil es selbst aufgrund der Kosten-Nutzen-Rechnung zu wenig Nahrungserwerb leisten konnte.
Schließlich setzte sich die industrielle Fertigung durch. Der ursprünglich lange Arbeitsprozess wurde durch neue technisch-chemische Verfahren rasant verkürzt, was ehemals viele Tage (und mehr) andauerte, reduzierte sich auf wenige Stunden. Was ursprünglich ein gutes feines Lederprodukt auszeichnete, hat aber auch heute noch Gültigkeit.
Allerdings brachte das moderne Industriezeitalter zunehmend eine Menge Lederimitate auf den Markt und hält immer noch an, die technischen Verfahren eröffneten ungeahnte Produktionsmöglichkeiten, sodass vielfältige Kunstledermaterialien angeboten werden, frei nach dem Motto: Erlaubt ist - was gefällt.
Autorin: Hannelore Kuna