Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Der Windenmacher gehörte zum Metall verarbeitenden Handwerk. Denn ungeachtet der Tatsache, dass auch Holz für seine Produkte verwendete, fertigte er seine Hauptarbeit in Eisen an. Meist fanden die ersten Windenmacher, auch Winderer genannt, Anschluss im großen Schmiedegewerk, wie im frühen Rostock geschehen. Später bildete sich in vielen deutschen Städten das gemeinsame Amt der Schlosser, Büchsenmacher, Sporer, Uhrenmacher und Windenmacher heraus.
Der Windenmacher stellte mit seinen Produkten mechanische Arbeitshilfen her, die die menschliche Muskelkraft um ein Vielfaches übertreffen konnten. Winden aller Art, das waren schmiedene Vorrichtungen die mit Zahnrädern oder eines Getriebes, an Seilen oder Ketten, besonders schwere Lasten wie im Transport, in der Schifffahrt, im Hausbau oder Bergbau bewegen konnten.
Meist gab es in den Städten allgemein keine große Anzahl an Werkstätten, wohl etwa zwei bis drei Meister arbeiteten am Ort und doch konnte die Lehrzeit mitunter 5-7 Jahre betragen. Da die Windenmacherzunft zu den „ungeschenkten“ Handwerken gehörte, erhielten ihre Gesellen auf der Wanderschaft keine Unterstützung, sie waren in der Fremde auf sich selbst gestellt.
Das zünftige Meisterstück bestand im 18. Jahrhundert in der Anfertigung einer Spann- und Wagenwinde. Seine Werkzeuge schmiedete der Windenmacher selbst. Er benutzte eine Esse, Hämmer, Feilen, Meißel, Schraubstock fürs Eisen und Säge, Stemm- und Schnittwerkzeuge für das Holz. Die Hauptarbeit und Feinheit des Gewerbes bestand im körperlich schweren Schmieden und anschließendem Feilen des Getriebes, solange bis die Qualität erreicht war.
Windenmacherei war ein besonders vielseitig einsetzbares Handwerk, denn die maßgerechten Winden eigneten sich für viele andere Gewerke zu unterschiedlichen Zwecken. Jedoch war das wirtschaftliche Ziel stets gleich, die schweren Arbeitstätigkeiten sollten körperlich und zeitlich erleichtert und damit die Arbeitsleistung erhöht werden.
Bereits im Mittelalter wurde die Sehne der großen Armbrust mit einer Winde gespannt. In Kriegszeiten wurde eine Windenmacherei zur wichtigen Waffenschmiede umfunktioniert. Freund und Feind verschonten die Meister, weil ihr Wissen und ihre technischen Fähigkeiten im Kampf unersetzbar waren. Winden galten als mächtige Kriegswerkzeuge bei der Wehrverteidigung. Zugbrücken zu alten Burg- und Schlosstoren konnten u. a. mit Hilfe von Ketten, die durch eine Winde betrieben wurde, schnell und von jedermann gegen feindliche Eindringlinge geschlossen werden. Bei sonstigen Wasserbrücken erleichterte diese mechanische Vorrichtung das Öffnen und Schließen, um den Wasserverkehr mit Schiffen und Kähnen für eine Durchfahrt zu ermöglichen.
Mit der Erschließung des Schienennetzes im 19. Jahrhundert galt dies auch für den modernen Eisenbahnbau. Im Jahr 1852 erhielt Rostock eine „auffwindbare“ Holzbrücke, die den fließenden Zugverkehr zu jeder Zeit gewährleisten sollte. Durch die bereits industriell gefertigte Mechanik konnte der Brückenwärter die Viergelindenbrücke pünktlich und zügig per Hand hoch und runter kurbeln. 1944 wurde das Brückenwerk durch einen Verkehrsunfall zerstört und nicht wieder aufgebaut.
Beim Windenmacher wurden insbesondere Wagen- oder Karrenwinden bestellt, um bei einem Radwechsel das Kutschengestell anheben und halten zu können. Auf diese praktische Art konnte das gebrochene Rad durch ein vollständiges Rad ersetzt werden, es sei denn der Schaden war größer und ein Schmied oder Rademacher wurde gebraucht. Da Kutschen und Fuhrwerke in jeder Form ursprünglich das wichtigste Transportmittel auf den Straßen waren, gehörten zur beständigen Kundschaft häufig die Rostocker Amts- Fuhrleute, die herzogliche Poststation in der Stadt oder ländliche Gutshöfe aus der Umgebung. Diese Winden wurden verhältnismäßig klein und handlich gearbeitet, damit sie unterwegs möglichst benutzt werden konnten.
Auch das moderne Seebaden brauchte im Anfang den Windenbauer. 1803 wurden in Doberan die ersten Badewagen bzw. Badekarren mit 4 Rädern nach englischem Muster eingeführt. Mit starken an Winden befestigten Tauen ließen die Karren sich ins Meer hineinziehen. Und selbst Rostocks Bürger benutzten über Jahrhunderte hinweg beim Wasserholen eine einfache Winde, wenn sie Wasser mit Ledereimern aus dem Brunnen zu schöpften.
Die Windenmacher in den Seestädten fanden auch im Schiffbau lohnende Arbeit. Da es beim Holzschiffbau viele beteiligte Gewerke und Zulieferer gab, verbuchte man sie allgemein unter Schlosserarbeiten. Die Meister und Gesellen fertigten schon frühzeitig Winden an, mit denen Lastenseile und Ketten ausgefahren und vollständig eingezogen werden konnten. Kein hölzernes Segelschiff konnte ohne Anker, der von den Matrosen schnell mit der Winde zu Wasser gelassen wurde, vor dem Hafen oder auf See angelegen oder überhaupt manövrierfähig sein. Zusätzlich holten die Matrosen mit der Schiffswinde auch die Segel ein, selbst die Rettung eines aufgelaufenen Seglers von einer Klippe oder Sandbank wurde dadurch möglich.
Im Laufe der Zeit hatte man sich im Schiffbau auf das Spill (die Bezeichnung ist abgeleitet von Spindel) spezialisiert, das ähnlich nach der Konstruktion der Winde funktionierte. Die Windenmacher bauten eine drehbare Vorrichtung, mit der durch manuelle Bedienung jeweils die Anker, Trosse und Netze zügig eingeholt und schwere Lasten gehoben werden konnten. Die Kraftübertragung erfolgt mit Tauwerkswindungen, die in einer Trommel lagen oder für Ketten über eine Zahnung (Kettennuss). Ein Spill konnte im Unterschied zur herkömmlichen Winde beliebige Längen an Tauwerk oder Ketten anholen (einholen, hieven), da nicht direkt am Spill aufgewickelt wurde.
Das Spill mit horizontaler Welle wurde Bratspill genannt, während die Gerätschaft mit senkrechter Welle Gangspill genannt wurde. Auf den großen Schiffen wurde häufig das Gangspill eingebaut. Ein Gangspill war ein senkrecht stehender, abgekürzter Metall-Kegel, mit mehreren Löchern im oberen Teil, um darin Hebebäume hineinzustecken, die man Spillhaken oder Windebäume nannte. Die kraftvolle Arbeit von mehreren Matrosen war notwendig, um die mechanische Vorrichtung wieder und wieder im Kreise zu drehen, um auf diese Weise Anker, Trossen oder Fischnetze einzuholen. Dabei bestand anfangs eine hohe Unfallgefahr durch unkontrolliertes Zurückdrehen und den schlagkräftigen Folgen durch die Taue oder Ketten. Man erfand Pallen (Sperrklinken), die verhinderten, dass sich das Spill rückwärts drehte.
Aber trotzdem blieb das Spill ein schwerer Koloss und forderte von den Seeleuten allemal die ganze Aufmerksamkeit bei der Arbeit. Schiffsbücher haben so manchen Unfall schon bei der Schiffstaufe oder auf See festgehalten. Als z. B. die Schiffstaufe der Bark Henri (397 RT) am 1. Juni 1869 im Rostocker Hafen im Sinne des Wortes schief lief und sich das Neuschiff seitwärts ins Wasser legte, verletzte das noch nicht befestigte Spill auf dem Vorderdeck einen Matrosen schwer.
Im Laufe der technischen Entwicklung hat sich diese mechanische Vorrichtung in der Seefahrt mit ständigen Verbesserungen oder Neuerungen bewährt, sodass heute das Spill noch manuell, hydraulisch oder elektrisch betrieben werden kann.
Dagegen ist der Beruf des Windenmachers aufgrund der industriellen Fertigung von Gusskörpern, Wellen, Zahnrädern, der Nutzung von Hydraulik, Elektrizität und Automatik usw. seit Ende des 19. Jahrhunderts nur noch selten anzutreffen. Inzwischen gibt es sogar für den alltäglichen Hausgebrauch hochwertige Drahtseilwinden mit elektrischem Motor und integrierter Bremse. Heutzutage lassen sich schwere Lasten ungefährlich per Knopfdruck heben und meist erreichen sie ihr Ziel ferngesteuert. Doch bei aller moderner Technik ist die Aufmerksamkeit und Vorsicht des Menschen für einen unfallfreien Umgang nicht zu ersetzen.
Autorin: Hannelore Kuna.