Haff-Verlag
Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg- Vorpommern
Zinngießer
Klostermönche entdeckten ursprünglich Zinn als Werkstoff für Ess- und Trinkgefäße, es entstanden einfache flache Teller und Becher für den Alltagsgebrauch. Es dauerte seine Zeit bis es auch in Norddeutschland ein eigenständiges Handwerk wurde. Das silbergraue Material, das im Bergbau (Sachsen, Böhmen, England) gewonnen wurde, erwies sich geschmacksneutral und äußerst beständig gegen Feuchtigkeit und Säuren. Gegenüber Glas und Keramik war es allemal bruchsicher, was für den Alltagsgebrauch wichtig war. Außerdem besaß das wertvolle Zinn eine nicht unwichtige Eigenschaft - es konnte eingeschmolzen werden. So wurden unansehnliche oder beschädigte Gegenstände durch neue ersetzt, was wiederum den historischen Nachweis von Zinngegenständen deutlich erschwert. Derartige archäologische Funde fanden stets besondere Beachtung.
Im Jahre 1372 wurden bei einer Aufzählung des Kriegsschadens, den „Rostocker Raubfehder“ dem Kloster Doberan zugefügt hatten, auch einen Anteil zinnerne Töpfe (olla stanni) erwähnt. Sicher hat es schon in der Zeit davor Zinngießer gegeben.
Die Zinngießer hatten ihre eigenen Handwerksregeln und hielten darauf, meist im Verbund mit anderen Städten. Etwa alle 7 Jahre kamen die Zinngießerämter der wendischen Hansestädte in Lübeck zu einer gemeinsamen Versammlung zusammen. So entsandten ebenso die Rostocker Zinngießer 1640 und 1662 ihre Vertreter zu diesem Treffen. Verschiedene Rezesse aus den Jahren 1678, 1705, 1710, 1719 und 1729 sind noch heute erhalten. Da die Kosten der Tagfahrt nicht unerheblich waren und ein Meister allein den Aufwand nicht bestreiten konnte, es andererseits nach den Paragrafen der Amtsrolle durchaus Hilfeleistungen aus der Handwerkslade gab, erhielt 1640 der Meister 30 Gulden Reisegeld. Die beiden Meister, die im Jahre 1662 nach Lübeck reisten erhielten 61 Gulden und 10 Schillinge vergütet. Es war notwendig in diesem großen Hanseverbund vertreten zu sein, denn das bedeutete, nicht nur neueste Nachrichten über Handel und Wandel in die Stadt mitzubringen. Auch wurde auf verschiedenen wirtschaftlichen Gebieten wie Rohstoffbeschaffung, Rohstoffpreise, Normung des Zinnmaterials ernsthaft verhandelt, mitunter sehr hart, denn die Konkurrenz war groß. Eines der wichtigsten Themen, das sich durch alle Zeiten hindurchzieht, war beispielsweise die Beschickung der regionalen Märkte mit den Produkten, was letztlich Nahrungssicherung bedeutete. So wurde der Parchimer Markt den Wismaranern zugewiesen und nur zu Michaelis durften ihn die Schweriner Zinngießer beziehen. Oft genug wurde erst eine Einigung mithilfe der Rechtsprechung durch den Landesherrn erzielt.
Die Zinngießer von Rostock waren Anfangs mit den Kannen- und Grapengießern zusammen in einem Amt vereinigt, was ihre gemeinsame Amtsrolle aus dem 15. Jahrhundert bezeugt. Die Grapengießer schieden im 16. Jahrhundert und die Kannengießer Ende 17. Jahrhundert aus diesem Amt aus. Nach dem ältesten Protokollbuch gab es im Jahre 1575 unter den Zinngießern zehn Meister; nach dem Ausscheiden der Grapengießer um 1597, wurden nur 4 Amtsbrüder namhaft gemacht. 1627 zählte das Amt 7 Meister, im Jahre 1633 5 und im Jahre 1722 ebenfalls 5 Meister. Anfang 19. Jahrhundert scheinen nicht mehr als 3 Meister gewirkt zu haben. Viele Jahre hindurch bestand das Amt der Zinngießer dann aus zwei Meistern (1872) und mit dem Tode des letzten Meisters Friedrich Carl Wulkop im Jahr 1880 wurde das Amt aufgehoben.
Dem Rostocker Zinngießeramt waren die Zinngießer ausgewählter kleinerer Städte angeschlossen. So gehörten zu Rostock über lange Zeit die Zinngießer von Güstrow, Plau, Malchin, Neubrandenburg, Waren, Ribnitz, Bützow und Teterow, derer es dort an der Zahl immer nur vereinzelte gab. Die Lehrzeit betrug 4 und mehr Jahre.
Zinngießergesellen, die in Rostock Meister werden wollten, musste natürlich vorher gewandert sein und danach zwei Jahre bei einem Meister in der Seestadt als Geselle gearbeitet haben. Das Meisterstück der Zinngießer sollte eine wertvolle Anfertigung sein. Aus der ersten Amtsrolle von 1482 geht nur die Anzahl der Meisterstücke hervor, drei Arbeiten mussten in der Werkstube des Altermanns angefertigt werden. Später wurden zum Erwerb der Meisterschaft vielfältige Gerätschaften aus Zinn verfertigt wie: Waschgefäße, Schüsseln, große Schalen, Weinkannen, halbstöfige Kannen, Bettpotte, Gelagskannen (für die Vereinshäuser), Willkommen (Pokale der Ämter und Gilden), Terrinen mit und ohne Deckel u. a. Gegenstände des Haushalts.
Für den Arbeitsprozess galt, dass reines Zinn sich nur schlecht verarbeiten ließ, meinten jedenfalls die Meister; deshalb mischten sie dem Zinn andere Metalle wie Antimon, Kupfer oder Blei bei. Zinn war erheblich teuer, durch den Zusatz von Blei konnte der Zinngießer schon mal seine Gewinnspanne aufbessern. Zu viel Blei konnte wiederum gesundheitsschädlich sein, weshalb es schon frühe Verordnungen über die Zusammensetzung des Zinnguts gab und die Erzeugnisse des Zinngießers behördlich kontrolliert wurden.
Auf der wendischen Ämterversammlung von 1569 einigte man sich, dass auf eine Mischung von drei Teilen Zinn ein Teil Blei gelten sollte, Kannen, Flaschen, Schüsseln (schottelen) und Salzgefäße dagegen mussten aus reinem Zinn (Klarzinn) gegossen werden. Um die Qualität des Zinnguts zu gewähren und den Ruf des Amts nicht zu schaden, wurden regelmäßige Kontrollen gemacht. Die Altermänner sollten 5 bis 6 Mal im Jahr in den Werkstätten ihrer Meister Zinnproben durchführen „undt so es solte falsch befunden werden, der soll in ernstliche Straffe für dem Ambt gezogen werden“, hieß es noch in einem Rezess der Ämter von Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Lüneburg, Bremen, Schwerin und Mölln vom 9. Juni 1678.
Im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert wollten die Käufer eine bessere Qualität der Waren, in der Regel wurde bleifreies Zinn gefordert. Doch gab es auch in Rostock weiterhin amtliche Ausnahmen, denn bleianteilige Gefäße wie Tabaksdosen, Tintenfässer, Röhren usw. waren erlaubt.
Rostocker Zinngießer verarbeiteten hauptsächlich englisches Zinn, das sie über den Seetransport und -handel bezogen. Zinn aus dem Erzgebirge war allein wegen der Transportkosten zu teuer. Weiterhin wurde auch altes Zinn umgegossen. Die herzogliche Regierung von Mecklenburg-Schwerin unterstützte die Rostocker Zinngießer, indem sie die Meister beim Einkauf von alten Zinnerzeugnissen zum Umguss von der Akzisezahlung (eine Art Umsatzsteuer) freistellten.
Die Zinngießer lehnten sich in der handwerklichen Ausführung und Formgebung von Tellern, Terrinen, Kannen, Zuckerdosen, Kerzenhaltern usw. den Erzeugnissen der Gold- und Silberschmieden an. Auch sie mussten die Herkunft ihres Zinngeräts mit Handwerkermarken nachweisen, damit musste der Meister für seine Arbeit auch im Namen der Stadt Rostock gerade stehen und andererseits wirkte der Stadtname durchaus verkaufsfördernd: „en iewelk schal sin werk merken mit sines stades merke und mit sines sulves merke“.
Mit dem Markennachweis schien es nicht so einfach zu sein, zeitweilig gab es drei verschiedene Marken an den Zinngerätschaften. Meister-, Stadt- und Qualitätsmarken wurden an unauffälligen Stellen des Zinnstücks mit Stempeleisen und Hammer eingeschlagen; Teller, Schüsseln und Becher wurden auf der flachen Unterseite, Krüge meist auf dem Deckelinneren oder auf dem Innenboden und Weinkannen auf dem oberen Ende des Henkelrückens gemarkt. Die Hansestädte forderten die jeweilige Stadtmarke (für Rostock das R) und die Meistermarke zweifach einzuschlagen. Die doppelte Meistermarke sollte gewährleisten oder bedeuten, dass Zinn ohne schädliches Blei Verwendung fand.
Jede Region hatte ihre bevorzugten Formen, so wurde für die Zinngießer ausgehend von den Küstenstädten Bremen, Lübeck und Hamburg die Hansekanne kennzeichnend. Ihr Hauptmerkmal war die gedrungene bauchige Form. Eine solche Hansekanne aus dem 15. Jahrhundert befindet sich im kulturhistorischen Museum Rostock.
Zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg kam das Material kurz wieder als „Silber für das Volk“ durch die „Dürerbund-Werkbund-Genossenschaft“ und ihrer Mitgliedergeschäfte in Mode. In Rostock fanden diese industriell hergestellten Zinngeräte in einfachen Formen durch die Handelsfirma J. F. Schohman jr. (Inhaber Kaufmann Justus Susemihl) am Markt 27/28 Verbreitung. Doch die wirtschaftliche Entwicklung gab dem Material Zinn wenig Chancen: Ab 1906 erhöhten sich auf dem Weltmarkt die Zinnpreise drastisch und mit Aluminium eroberte ein völlig neues Material den Markt. In den beiden Weltkriegen wurde Zinn für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen. Erst in den 1960-er Jahren schaffte man sich wieder Zinngerät an, für die handwerkliche Produktion gab es aber kaum Chancen. Trotzdem, nach Angaben des Bundesverbandes des deutschen Zinngießerhandwerks gibt es noch etwa 30 bis 35 Zinngießer mit Meisterbrief.
Autorin: Hannelore Kuna.