Haff-Verlag

Texte zum historischen Handwerk in Mecklenburg-                                              Vorpommern


Zuckersieder

Zuckersieder


 
 Für Rostock ist um 1260 als erstes Süßungsmittel Honig als Handelsware bezeugt. Dabei dauerte es eine Zeit bis der Zuckerhandel durch die Araber über Venedig in das nördliche Europa, etwa zur ersten Jahrtausendwende, gelangte. Seit Kolumbus Zeiten war Rohr-Zucker mit die wichtigste und sehr begehrte europäische Kolonialware. Süßstoffe aus anderen Pflanzen, wie aus Ahornsaft, kannte man hier kaum, daher wurde meist mit natürlichen Obstsäften gesüßt. Der fremdländische Rohrzucker blieb lange Zeit den wohlhabenden Schichten vorbehalten und war besonders zum Süßen von vielerlei Speisen oder kandiert als Konfekt beliebt. Für einen Zentner Rohrzucker bezahlte man im 14. Jahrhundert nach heutiger Währung schätzungsweise 1200 Euro.
 Die Apotheker erkannten schnell die Wirkung des Zuckers um bittere Rezepturen wohlfeiler zu vermischen, worüber eine frühe Rostocker Arzneianordnung berichtet. Doch kleine Ausnahmen bestätigten die Regel. Der Süßstoff aus dem Zuckerrohr löste mit der Zeit auch in Mecklenburg den Honig ab, der zwar süß schmeckte, aber nicht so vielseitig in der Verwendung war. Mit seiner Einführung war Zucker eine kostbare und teure Handelsware, die vom Magistrat auch genauso behandelt wurde.
 Der erste schriftliche Nachweis der Verwendung von Zucker in Mecklenburg stammt aus 1373 für Schwerin. Die mecklenburgische Polizeiordnung verbot 1516 bei der Einführung neuer Ratsherren in den Städten neben zu viel Bier und Wein, auch den Genuss von übermäßigem Zucker und Konfekt. Dasselbe sollte für die „Brutlachten“ (Hochzeiten) gelten.
Ein breiter Massen-Markt entstand erst, als Mitte des 18. Jahrhunderts die Zucker-Preise auch für die einfachen Leute erschwinglich wurden. Entscheidenden wirtschaftlichen Anstoß dazu gaben andere Kolonialwaren wie Kaffee, Tee und Schokolade. Es gehörte nicht selten zum Handlungsgebaren der geschäftstüchtigen Kaufleute, dass Zucker relativ günstig angeboten wurde, damit die Kundschaft eben gut und reichlich Kaffee, Schokolade usw. einkaufte.

 Der Zucker-Konsum beeinflusste infolge seiner Verbreitung auch die Zubereitung von neuen Süßspeisen, so gab es mehr und mehr raffinierte Desserts, süße Marmeladen und feine Backwaren. Einmal auf den angenehmen Geschmack gekommen, mochten die Menschen das Süße nicht mehr entbehren, sodass Zucker auch bei traditionellen Festlichkeiten gereicht wurde. Bei Warnemünder Hochzeiten um 1780 schenkte der Bruder der Braut Wein und Zucker und war Brautdiener, die Serviette am Knopfe; die Schwester deckte den Tisch und gab das Tischtuch her. „Gewürtze, Thee, Zucker, Coffee, Zitze, Kattun … rechne ich unter die wahren Nothwendigkeiten.“ schrieb ein Autor in den „Nützlichen Beiträgen“ von 1768.
  In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann man in Europa den Rohrzucker aus Übersee zu veredeln. Dafür ließen die europäischen Kolonialherren in Amerika und Indien Zuckerrohr anbauen, wobei eine angelegte Plantage 16 bis 20 Jahre Nutzung gewährte. Das reife Zuckerrohr wurde geschnitten und in Bündel zusammen gebunden. Dann wurde der Zuckersaft in der Zuckermühle durch senkrecht stehende Walzen aus dem Rohr ausgepresst und in kupfernen Kesseln mit etwas Wasser oder Aschenlauge gekocht. Nach dem Abkühlen wurden Melasse (flüssig bleibende Lauge) und fest gewordener Zucker getrennt, Letzterer wurde in Fässern verpackt und nach Europa verschickt. Im Übrigen entstand aus der Melasse der allseits begehrte und hochprozentige Rum. In der grob-verarbeiteten Form kam der meiste Zucker nach Europa und wurde hier in den einheimischen Zuckersiedereien raffiniert.
1765 entstand eine Zuckersiederei in Boizenburg an der Elbe, in Wismar legte der Kaufmann Velthusen eine wirtschaftlich gut gehende Siederei an, in der folgenden Zeit kamen in Rostock zwei Zuckersiedereien hinzu. In allen norddeutschen Seestädten oder in den an Flüssen gelegenen großen Städten wie Berlin und Dresden mit Verbindung zum Meer, entstanden Siedereien, die großen wirtschaftlichen Erfolg versprachen.
Im Jahr 1785 beschäftigten die preußischen Zuckersiedereien über 1000 Menschen und lieferten für 2 Millionen Taler Zucker. Im Jahr 1829 registrierte der preußische Staat 42 Zuckersiedereien, seit dem 16. Juli 1787 war die Anlegung dieser Betriebe für Jedermann freigegeben und nicht mehr königlich konzessionspflichtig.

 In diesen Jahrzehnten ragte in der Zucker-Produktion Hamburg heraus, wo etwa 100 der ältesten Brauhäuser zu Zuckersiedereien umfunktioniert und dazu neue Anlagen gebaut wurden. 1806 arbeiteten in Hamburg 426 Zuckersiedereien. 1820 empfing Hamburg aus Frankreich 45.000.000 kg Kolonial-Zucker zur Weiterverarbeitung.

  In Mecklenburg konzentrierte sich die Zuckerfertigung dann ganz auf Rostock. Um 1800 arbeiteten hier zwei Zuckersiedereien mit großem Erfolg. Zucker war von Anfang an ein Handelsobjekt der Kaufleute Rostocks mit beträchtlicher Gewinnspanne.

 Rostocker Schiffe brachten den Rohrzucker aus Hamburg und Kopenhagen nach Mecklenburg. Einige Schiffe machten jährlich 6-7 Fahrten nach Kopenhagen, um in Kisten verpackten Rohrzucker heimzuholen. Die Dänische Krone besaß reiche Kolonien auf den westindischen Inseln (St. Croix, St. Thomas und St. John), die ihnen großen Profit einbrachten. Prägenderweise wurde dieser Zucker als Kolonialzucker bekannt.

 Der in den Kolonien erzeugte Rohrzucker war meist von minderer Qualität bzw. eine braune, halb fertige Ware und wurde in den einheimischen Siedereien veredelt und in verschiedene, bedarfsgerechte Produktformen gebracht. Zuckersiedereien nannte man deshalb auch Zuckerraffinerien.

 Der schlechteste Import-Rohzucker, aber im Einkauf am kostengünstigsten, war der sogenannte Lumpenzucker. Die Herstellungskosten für 1 Zentner raffinierten Zucker aus gleicher Menge Kolonialzucker betrugen 2 Taler. Die investierten Kosten wurden ausgegeben für Steinkohlen, Holzkohlen, Löhne, dazu Schiffsfrachten und Zollgebühren. Für die Raffination des Kolonial-Zuckers galt die wirtschaftliche Faustregel: 1000 Pfund Rohzucker ergeben 300 Pfund raffinierten Zucker. Darin lagen das boomende Geschäft und der enorme finanzielle Gewinn.
 In den Zuckersiedereien arbeiteten Zuckersiedemeister, Zuckersiedeknechte, Kontoristen und Buchhalter, weil mit den Portionierungen in Zuckerhüte viel gerechnet werden musste, da weißer Zucker auch über die Stadtgrenzen hinaus verkauft werden sollte.

 In der Produktionsstätte war die Hauptarbeit das Kochen der Zuckermasse, damit am Ende durch verschiedene Trennungsverfahren gereinigter, weißer Zucker entstand. Dazu wurden einige Gerätschaften gebraucht: wie Pfannen, Kessel, Schraubenpressen usw., sowie ausreichendes Feuerungsmaterial und Hunderte von Eingießformen aus Ton. Die maßgebende Form war im 18. Jahrhundert ein nach unten zugespitzter Behälter, worin der bis heute noch bekannte Zuckerhut entstand. Als Reinigungsmittel diente Ochsenblut, das dem flüssigen und heißen Zucker-Sud beigegeben wurde. Blut gerinnt schon bei geringer Hitze, wird fest und schließt dabei fremde Teile mit ein. Mit Abkühlen konnte diese Reinigungsschicht vom guten Zucker als Schaum leicht getrennt werden. Insgesamt war die Arbeit in den Zuckersiedereien auf größte Ordnung und Sauberkeit ausgerichtet, worauf der Meisterknecht streng achtete, um den anstehenden Amtskontrollen gerecht zu werden. Die Zuckersiedeknechte trugen als Arbeitskleidung weiße Zipfelmützen und Leinenschürzen. 
1747 entdeckte A. S. Markgraf den Zuckergehalt der Rübe, 1801 schaffte Franz Carl Archard die chemischen Grundlagen der industriellen Rübenzucker-Produktion und die Konkurrenz zwischen Kolonialzucker (Rohrzucker) und heimischem Rübenzucker begann. In der Massenproduktion setzte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts und bis heute die Rübenzucker-Produktion durch, womit die ansässige Landwirtschaft neue Arbeitsfelder gewann und der nach Übersee orientierte Kolonialhandel der Großkaufleute große Geschäftsverluste einstecken musste.
 

Autorin: Hannelore Kuna.

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